STANDARD: Was erhoffen Sie sich von der Ausstellung Ihres Hamburger Instituts für Sozialforschung, "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs"?Reemtsma: Ich sehe das nicht als ein Sender-Empfänger- Modell, wo ein Veranstalter eine ganz bestimmte Botschaft aussendet. Sondern: Man beteiligt sich an einem "Gespräch über" - in diesem Falle über die Vergangenheit. Ursprünglich sollte die Ausstellung ja ein Beitrag sein zur Geschichte der Destruktivität im 20. Jahrhundert, was jetzt auch im ersten Teil noch drinnen ist: die Zerstörung des geltenden Völkerrechts. Was man allerdings wollen kann: Dass, nachdem man so etwas gemacht hat, nicht in derselben Weise über diese Themen geredet werden kann wie vorher, sondern dass sich die Art und Weise des Redens verändert. Bestimmte Sachen kann man nicht mehr sagen, ohne sich lächerlich zu machen. STANDARD: Sie meinen also, dass man nicht mehr sagen kann: "Alles war Befehl." Und dass sich die jüngere Generation auch nicht mehr sagen lassen muss: "Ihr wart nicht dabei und verurteilt nur." Reemtsma: Zunächst ist es ganz wichtig, zwischen Urteil und Verurteilung zu unterscheiden. Das Urteilen ist das Interessantere und gehört übrigens zum Verstehen: Um eine Handlung zu verstehen, muss ich die normativen Kontexte verstehen, in denen diese Handlung stattfindet und wie sie im Zweifelsfalle gerechtfertigt würde. Und dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, als für mich klarzulegen, wie ich mich zu diesen Standards verhalte. Das mit dem "nicht Dabeigewesensein" ist so eine Sache: Wenn man das ernst nähme, so gäbe es keine Gerichtsurteile bei Mord: Einer der Beteiligten ist tot, der andere der Täter. Eine absurde Situation. STANDARD: Die Wehrmachtsausstellung zeigt viele Arten von Gewalt: bewusstes Aushungern, Erschießungen, Rechtsbrüche. Zugleich aber zeigen konkrete Einzelbeispiele, was gegen Gewalt getan werden kann: Da widersetzt sich eine Wehrmachtskompanie in Przemysl 1942 den Pogromen der SS, während eine andere in Bialystok sadistisch zusieht. Reemtsma: Das ist natürlich der spannendste Punkt. Hier waren zwei Dinge wichtig, die ich gelernt hatte bei der Diskussion um die erste Ausstellung. Das erste war, dass wir die faktische Rechtssituation offen legen müssen. Viele sagten, wenn ihr von "Verbrechen" bei der ersten Ausstellung sprecht, wie meint ihr das eigentlich? Wird da nicht von einer moralisch avancierten Position in eine dunkle Zeit zurückgeblickt, die keine Rechtsnormen hatte? Es gab aber ein ausdifferenziertes Völkerrecht, und dieses ist, um diesen Krieg zu führen, absichtlich demontiert worden. Und das zweite war die Frage: Ist denn Krieg nicht etwas wie eine große Maschine, wo ich nur Rädchen bin, wo es nur Leute gibt, die Gehorsam ausüben, Befehlen gehorchen. Befehle sind aber ausdeutbar und nicht bei jedem Befehl wird seine Nichtbefolgung geahndet. STANDARD: Das gilt dann wohl auch nicht nur für diesen Krieg. Wie erklären Sie sich die Emotionalisierung von Menschen, welche die Ausstellung gar nicht besuchen? Reemtsma: Wo wir eine politisch explizite Reaktion haben, wie bei einer Demonstration in Berlin, zu der die NPD aufgerufen hat, muss man einfach sehr klar sagen: Da sie ihre eigene Identität nach außen nicht in direkter Berufung auf den Nationalsozialismus konstituieren können, ist die Identifizierung mit der Wehrmacht die Ausweichidentität. Die empfinden eine Ausstellung, wie immer die aussieht, als einen Angriff auf ihre politische Identität. STANDARD: Ist eine solche Ausstellung zu intellektuell, zu differenziert für solche Gruppierungen? Reemtsma: Bei der zweiten Ausstellung hat sich gezeigt, was ich prophezeit habe, als wir die erste Ausstellung zurückzogen haben. Ich sagte, jeder, der meint, die größere Differenzierung würde das Bild "schöner" machen, wird sich irren. Das ist bei all diesen Dingen nicht der Fall: Je genauer man hinguckt, desto unangenehmer wird es. STANDARD: Sehen Sie einen Unterschied in der Rezeption zwischen Deutschland und Österreich? Reemtsma: Zur jetzigen Ausstellung kann ich nichts sagen. Bei der ersten war es sehr klar: da gab es schon Proteste in Österreich, als in der Bundesrepublik noch keine waren. Das hatte nach meinem Urteil sehr viel mit der unterschiedlichen Veteranenkultur zu tun. STANDARD: Ist aus dem größeren Einfluss der Veteranenverbände in Österreich auch zu erklären, dass Proteste weit tiefer in bürgerliche Schichten hineingehen? Reemtsma: Es ist zumindest ein wichtiger Faktor. Was bedeutet denn Veteranenkultur? Es bedeutet einen wichtigen Übergang von der Sphäre der Erfahrung, die nur diese Veteranen haben, zum Rest der Gesellschaft. Das ist ein Transfer, der Identifikationen möglich machte. Das war in Westdeutschland allenfalls in der Groschenheftliteratur und an den Stammtischen präsent. Etwas wie den Ulrichsberg gab es in Deutschland nicht. In Österreich entstand sie unter dem Schutzschild der Rede vom ersten Opfer. STANDARD: Kann ein kollektives Gebilde überhaupt "Opfer" sein? Reemtsma: Ich würde das so nicht sagen. Es kann aber von der Politik ein kollektives Selbstbild mit erzeugt werden. Es gibt nun mal diese Formel vom ersten Opfer. Diese war in Deutschland unmöglich - in Österreich war sie willkommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19./20.4.2002)