"Wir können all die anderen Technologien überleben bis hin zu Atomwaffen, aber die spezielle Charakteristik von Biotechnologie macht sie gefährlicher: Sie kann das Denken manipulieren und verändern, was Menschen sind. Adolf Hitler wollte alle Polen zu Arbeitern versklaven. Er konnte das nicht, weil du den menschlichen Geist nicht unbegrenzt mit Waffen versklaven kannst. Aber man mag das erreichen, indem man die Menschen umprogrammiert oder ihr Gehirn verändert", warnt Mikrobiologe Matthew Meselson im Gespräch mit dem STANDARD. Vielleicht nicht nächstes Jahr, aber eines Tages werde es möglich, sagt der Wissenschafter der Harvard University am Rande der prominent besetzten Tagung "Genetik nach dem Genom", die bis Sonntag in Brünn läuft (DER STANDARD berichtete). "Wenn die Biotechnologie so weiterkommt, werden wir eines Tages alle Prozesse manipulieren können: Entwicklung, Vermehrung, Vererbung und Erkenntnis. Der Umgang damit wird zur Frage des Überlebens für unsere Spezies", warnt der Eröffnungsredner Meselson. Und er sollte das Potenzial abschätzen können, war er doch im Untersuchungsteam nach dem größten bekannten Anthrax-Unfall 1979 in der Sowjetunion, bei dem 66 Menschen starben, als Sporen aus einem Militärlabor austraten. Kriminalisieren Bereits 1998 startete Meselson, der zuletzt das US State Department, früher das Weiße Haus und den Geheimdienst CIA in Sachen Biowaffen beraten hat, mit Kollegen eine Initiative für eine Konvention für das Verbot von biologischen und chemischen Waffen, das einzelne Biowaffenbastler international strafrechtlich verfolgen soll. Selbst wenn ein Staat nicht beitreten sollte und sein Chef selbst für ein derartiges Programm verantwortlich sein sollte, so die Überlegung, könnte er eines Tages kaum mehr ins Ausland reisen ohne Risiko, verhaftet zu werden - "als Feind der ganzen Menschheit". Jüngster Erfolg der Initiative: Der britische Außenminister Jack Straw legte ein Diskussionspapier vor, das die bestehende Biowaffen-Konvention in elf Punkten stärken möchte. Einer ist die internationale Kriminalisierung, wie sie die Initiative fordert - "ein gutes Zeichen", freut sich Meselson. Zu den Anthraxfällen in US-Poststücken hat Meselson eine überraschende Sicht: "Das muss kein Terrorist gewesen sein." Sein Argument: "In den Briefen lag ein mehrfach gefaltetes Blatt, in dem das Pulver war. Und auf dem Blatt stand eine Warnung, Penicillin zu nehmen, um nicht am Inhalt zu sterben. Wenn die Absicht bestanden hätte zu töten, warum sollte man den Leuten Penicillin empfehlen? Inzwischen wissen wir, dass es bei dem konkreten Anthraxstamm wirkt." Es schaut ihm mehr nach einem Verrückten aus oder jemandem, der eine Warnung aussprechen wollte: "Jemand sehr Unglücklicher." Meldungen über US-Pläne für erste Biowaffen mit genveränderten Mikroorganismen zur Zerstörung von Materialien (DER STANDARD berichtete) schrecken Meselson nicht: "Solche Programme laufen schon viele, viele Jahre, aber die waren nie wirklich effektiv aus militärischer Sicht. Gummi angreifen zu wollen - so dumme Dinge macht man nur, wenn man zu viel Geld hat", seufzt der Mikrobiologe. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. - 20. 5. 2002)