Berlin - Spitzenpolitiker der europäischen Grünen haben sich leidenschaftlich für ein vereintes Europa als Antwort auf den erstarkenden Nationalismus und Rechtspopulismus in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten ausgesprochen. Beim Kongress der Europäischen Grünen am Samstag in Berlin sagte der grüne Außenminister Joschka Fischer: "Es wäre fatal, den neuen Rechtspopulismus zum Anlass zu nehmen, den Prozess der europäischen Integration zu verlangsamen." Der französische Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit erklärte: "Europa ist die angemessene Antwort auf die Probleme des beginnenden 21. Jahrhunderts." Fischer und Cohn-Bendit warnten auch vor wachsendem Antisemitismus in den EU-Staaten. Sie verwiesen auf die Angriffe des nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann gegen den Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Michel Friedman. Cohn-Bendit warf Möllemann vor, das uralte Schema faschistischer Parteien aufgegriffen zu haben, Juden selber die Schuld zu geben, wenn die Bürger mit Antisemitismus auf sie reagierten. "Das war kein Ausrutscher, das war Teil der Wahlkampfstrategie, um die berühmten 18 Prozent zu bekommen", sagte der Kovorsitzende der Grünen im Europaparlament. "Die FDP wird so lange eine antisemitische Partei sein, so lange Möllemann nicht zurückgetreten ist." Fischer sagte, Möllemann bediene sich des Nahost-Konflikts, um damit aufkeimende antisemitische Stimmungen und Stimmen zu mobilisieren. Die niederländische Grünen-Abgeordnete Kathalijne Buitenweg und die belgische Verkehrsministerin Isabelle Durant bezeichneten es als notwendig, die Ängste der Menschen vor Arbeitslosigkeit, Armut, Globalisierung oder einer multikulturellen Gesellschaft ernst zu nehmen, wolle man den Rechtspopulismus austrocknen. Die Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren, Lösungen auf die Probleme der Zeit anzubieten. Auch sie forderten mehr Europa und ein qualitativ besseres Europa. "Die Entwicklungen in Europa geben Anlass zu großer Sorge", erklärte Fischer unter Verweis auf die Wahlergebnisse in den Niederlanden und Frankreich. Die Nationalstaaten hätten in einer globalisierten Welt keinen Handlungsspielraum mehr. Deshalb und in Anbetracht der bevorstehenden EU-Erweiterung bedürfe es eines großen Integrationsschrittes. Auch Cohn-Bendit forderte, Europa müsse ein Gegengewicht zu den USA werden. Vor dem bevorstehenden Besuch von US-Präsident George W. Bush in Berlin rief Cohn-Bendit zu Demonstrationen auf, jedoch nicht ohne in verschiedenen Punkten seine Zustimmung zur amerikanischen Politik zu definieren, beispielsweise zur Intervention auf dem Balkan. Fischer hingegen sprach sich unter dem Protest einiger Delegierter gegen Demonstrationen aus. "Viel lieber wäre es mir, wir würden gegen den neuen Nationalismus in Europa demonstrieren." An dem Berliner Treffen nehmen etwa 800 Vertreter von 32 grünen Parteien in 29 europäischen Staaten sowie aus den USA, aus Neuseeland, Australien und Japan teil. Außer in Finnland sind Grüne zur Zeit in Deutschland und Belgien an der Regierung beteiligt. Der Kongress dauert bis Sonntag. Der österreichischen Grünen-Delegation gehören Bundessprecher Alexander Van der Bellen, die Parlamentarier Eva Glawischnig, Ulrike Lunacek und Johannes Voggenhuber an. Für Sonntag ist ein Treffen Van der Bellens mit Außenminister Fischer vorgesehen. (APA/AP)