Europa
Frankreichs Regierung erneuert Dialog mit Sozialpartnern
Premier Raffarin empfing Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände - Sozialisten distanziert
Paris - Frankreichs Premierminister Jean-Pierre Raffarin
(Democratie Liberale/DL) hat den Grundstein für jene
Sozialpartnerschaft gelegt, die Präsident Jacques Chirac (RPR) im
Wahlkampf für seine eigene Wiederwahl in Aussicht gestellt hatte.
Wenige Tage nach seiner Amtseinsetzung empfing Raffarin zu Beginn des
Wochenendes die fünf großen französischen Gewerkschaftsverbände (CGT,
CFDT, FO, CFE-CGC und CFTC) sowie die drei Arbeitgeberorganisationen
MEDEF, CGPME und UPA. Die Sozialpartner begrüßten anschließend
einstimmig die Dialogbereitschaft des rechtsliberalen Premiers, wenn
sie auch einschränkten, dass angesichts der bevorstehenden
Parlamentswahlen keine unmittelbaren großen sozialen Vorstöße zu
erwarten seien. Raffarin sprach von einem "sehr konstruktiven Tag". Er begrüßte
"die große Lust auf sozialen Dialog" und betonte, wie schon sein
sozialistischer Vorgänger Lionel Jospin bei der Amtsübernahme im Juni
1997, die Entwicklung der Beschäftigung zu einer "nationalen
Priorität" erheben zu wollen. Im Lager der Sozialpartner legte wie zu
erwarten der Chef des Unternehmerverbandes MEDEF, Baron
Ernest-Antoine Selliere, die größte Genugtuung an den Tag. Bezug
nehmend auf Raffarins Vorgänger Jospin sagte der MEDEF-Chef: "Wir
haben eine wirkliche Veränderung im Sinne einer gemeinsamen Arbeit
mit den Sozialpartnern feststellen können."
Distanzierte Sozialisten
Selbst der kämpferische FO-Chef Marc Blondel, der im Dezember 1995
den Generalstreik gegen die konservative Regierung Alain Juppes (RPR)
angeführt hatte, hegt eine gewisse Sympathie für Raffarin. "Der
Kontakt war eher freundschaftlich. Herr Raffarin ist ein Mann, der es
versteht, zu empfangen und dem es nicht an Humor fehlt", erklärte
Blondel.
Weitaus kritischer reagierte dagegen Bernard Thibault,
Generalsekretär der den Kommunisten nahe stehenden CGT. Er forderte
den Premier dazu auf, den Ausgang der Parlamentswahlen vom 9. und 16.
Juni abzuwarten, bevor die Verhandlungen der Sozialpartner über
Löhne, Rentenwesen und Arbeitszeitverkürzung aufgenommen werden. "Es
steht den Gewerkschaftsorganisationen nicht zu, an der Stelle der
Bürger zu entscheiden, mit welcher Regierung sie den Dialog über
soziale und wirtschaftliche Fragen fortsetzen sollen", betonte
Thibault. Zunächst forderte der CGT-Chef eine Anhebung des
gesetzlichen Mindestlohns SMIC durch eine Regierungsverfügung. Für
den Herbst kündigte er eine "Mobilisierungskampagne zur Verteidigung
der Altersrenten" an.
35-Stunden-Woche
Auch Nicole Notat, Chefin der den Sozialisten nahe stehenden CFDT,
stellte die Aussprache mit Raffarin auf eine sachliche und
distanzierte Ebene. "Wir sind gekommen, um dem Premier zu sagen, dass
wir eine Verlegung der Debatte von der Ebene der Absichtserklärungen
auf jene der festen Engagements und der Umsetzungen wünschen", so
Notat. Die Aussprache habe "in einem Klima der Arbeit und des guten
Verständnisses der Rolle jedes einzelnen" stattgefunden, sagte die
CFDT-Chefin. Begleitet wurde Notat von Francois Chereque, der sie in
zwei Wochen an der Spitze der Gewerkschaft ablösen soll.
Die Gewerkschaftsvertreter der kleinen Unternehmen (CGPME) und der
Handwerker (UPA) setzten den Schwerpunkt wie erwartet auf die
Umsetzung der 35-Stunden-Woche. Die von der sozialistischen
Arbeitsministerin Martine Aubry gesetzlich eingeführte
Arbeitszeitverkürzung sei für Kleinunternehmer und Handwerker
finanziell viel zu belastend, gab CGPME-Chef Jacques Friedel zu
bedenken. Raffarin habe zugesichert, dass seine Regierung die
Bestimmungen zur "kurzen Woche", die gegenwärtig für alle
Privatbetriebe eine gesetzliche Pflicht ist, lockern werde. (APA)