"Geheimhaltung ist eine Krankheit. Sie löst Arterienverkalkung im Gehirn aus" - das erklärte Senator Daniel Patrick Moynihan bereits 1995, als er die Auflösung der CIA und deren Integrierung in das Außenministerium forderte. Moynihans Gesetzesentwurf wurde niedergestimmt. Nach den Enthüllungen der vergangenen Woche steht die CIA nun nicht mehr allein im Kreuzfeuer schärfster Kritik: Es ist jetzt das FBI, dem der schwarze Peter zugeschoben wird.Es stellte sich heraus, dass das FBI - die einzige Organisation, der es vor dem 11. September 2001 gesetzlich erlaubt war, innerhalb der USA zu agieren - für intensive und koordinierte Terrorismusbekämpfung weder ausreichend ausgerüstet noch geschult war. Und das trotz der Verdreifachung des Budgets für diese Zwecke während des vergangenen Jahrzehnts. Nahezu jeder Terrorist ist dieser Tage mit besseren Computern ausgestattet als ein Großteil der FBI-"field agents", insbesondere in kleineren Büros außerhalb der großen Städte Amerikas. Aber selbst wenn sich ein Agent die Mühe machte, mit einem langsamen Modem im Internet zu surfen, verdächtige Aktivitäten fand und einen Bericht verfasste, hieß das noch lange nicht, dass seine Angaben auch analysiert werden. "Das FBI ist der größte Sammler von Informationen", erklärte der ehemalige FBI-Vizedirektor Robert M. Bryant bereits im September, "aber es gibt Material, das gar nicht analysiert wird." Nur so erklärt sich das Unvermögen des FBI, zwei brisante Berichte vom vergangenen Sommer - einen aus Arizona (über Verdächtige, die Flugstunden nahmen) und einen aus Minnesota (über Zacarias Moussaoui, ein "Typ Mensch, der etwas in das World Trade Center fliegen könnte") - unter den Tisch fallen zu lassen. Der umstrittene Bericht, den Präsident George Bush am 6. August erhalten hatte und der sich laut Weißem Haus (der Bericht ist noch immer nicht veröffentlicht) mit Methoden und Geschichte der Al-Qa'ida beschäftigte, kam also auch nicht vom FBI, sondern von der CIA. "Connecting the dots" - die Punkte miteinander verbinden - ist derzeit das geflügelte Wort, um das klägliche Versagen aller Geheimdienste, trotz einer nahezu endlosen Reihe von isolierten Hinweisen, zu erklären. Laut dem CNN-Analysten Bill Schneider spricht das allerdings den Präsidenten wenigstens von der Schuld frei, von den Attacken Kenntnis gehabt zu haben. Er konnte die Punkte nicht miteinander verbinden, weil er nur einen einzigen davon hatte: den Bericht der CIA. Infoverhinderung Erst nach den Terroranschlägen begannen sich die Medien und auch der US-Kongress mit den parallel arbeitenden Geheimdiensten zu beschäftigten, die zum Teil durch Gesetze daran gehindert waren, einander zu informieren. Der Kongress verabschiedete Ende Oktober den von Bürgerrechtlern als Eingriff in das Privatleben angegriffenen Patriot Act, der es den Organisationen ermöglicht, Informationen über Terroraktivitäten zu koordinieren. Erstmals ist es damit der CIA erlaubt, auch innerhalb des Landes aufzutreten. Allerdings scheint es bei der Koordination noch immer zu hapern: Der Direktor für Innere Sicherheit, Tom Ridge, erklärte vergangenen Freitag - also mehr als acht Monate nach 9/11 -, er verhandle mit FBI-Direktor Robert Mueller über "bessere Zusammenarbeit zwischen den Agenturen. Das FBI arbeitet daran, die CIA arbeitet daran; und wir arbeiten mit ihnen." Die Zeitung USA Today fasste die Sorgen der Amerikaner so zusammen: "Letztlich dreht es sich nur um eine Frage: Wenn die Behörden heute ähnliche Signale erhielten, würden sie wieder übersehen werden?" (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.05.2002)