New York - Im Skandal um irreführende Anlagetipps zahlt
die US-Investmentbank Merrill Lynch eine Strafe in dreistelliger
Millionenhöhe. Die Bank teilte am Dienstag in New York mit, sie habe
sich mit dem Justizminister des US-Bundesstaates New York, Eliot
Spitzer, gütlich über die Zahlung von hundert Millionen Dollar (knapp
110 Millionen Euro) geeinigt. Analysten der Bank hatten Aktien zum
Kauf empfohlen, obwohl die Papiere in internen Vermerken sehr
schlecht beurteilt wurden. Spitzer kündigte an, auch die Praxis der
anderen Banken unter die Lupe nehmen zu wollen. "Wir werden unsere Untersuchung auf alle großen Häuser der Wall
Street ausweiten", sagte Spitzer. Er forderte die Geldinstitute auf,
ihre Dokumente zu sichten und mit ihm in Verhandlungen zu treten. Der
Justizminister hatte Merrill Lynch vorgeworfen, sich mit den
Empfehlungen über Wert lukrative Verträge mit Unternehmen sichern zu
wollen.
Kein Schuldeingeständnis
Die Bank betonte hingegen, die Zahlung bedeute kein
Schuldeingeständnis. Von der Summe sollen den Angaben zufolge 48
Millionen Dollar an den Staat New York gehen, der Rest an die übrigen
US-Bundesstaaten. Die Bank einigte sich mit dem Justizminister ferner
auf eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Trennung von Investment-
und Forschungsabteilungen und damit die Unabhängigkeit der Analysten
gesichert werden soll. Die Investmentabteilung berät Unternehmen bei
Börsengängen, Fusionen oder dem Erwerb anderer Firmen. Die
Forschungsabteilung ist für die objektive Analyse des Marktes
zuständig.
"Chninesische Mauer"
Eigentlich sollten diese Abteilungen bei den Investmentbanken
schon jetzt durch eine im Fachjargon bezeichnete "Chinesische Mauer"
strikt getrennt sein. Spitzer kam in seinen Ermittlungen jedoch zu
dem Schluss, dass die Analysten bei Merrill Lynch geschönte
Aktienprognosen geliefert hätten, um der Investmentabteilung Kunden
zu sichern. Mit der Bank einigte er sich der Mitteilung zufolge nun
unter anderem darauf, dass Merrill Lynch ein Komitee einrichtet, das
die Aktienbewertungen der Analysten überprüft.
Als Schlüsselelement für seine Ermittlungen waren Spitzer interne
E-Mails von Analysten in die Hände gefallen. Darin äußerten sie sich
in drastischer Sprache abfällig über Aktien, die sie gleichwohl den
Anlegern zum Kauf empfahlen. Merrill Lynch hatte ursprünglich
argumentiert, die Zitate seien "aus dem Kontext gerissen", musste
sich nun aber als Teil der Einigung mit Spitzer bei seinen Kunden
entschuldigen. Die E-Mails seien eine "ernste Angelegenheit" und
verstießen teilweise gegen die internen Regeln der Firma. Das
Unternehmen bedauere, dass dadurch Sichtweisen verbreitet worden
seien, "die mit den von Merrill Lynch veröffentlichten Empfehlungen
vielleicht unvereinbar erschienen".
Forderung nach Reform
Durch die Ermittlungen gegen Merrill Lynch ist die gesamte Zunft
der Analysten an der Wall Street ins Zwielicht geraten. Seither haben
die Forderungen von Börsenexperten und Politikern nach einer
grundlegenden Reform der Investmentbanken zugenommen, mit der die
Trennung von Investment- und Forschungsabteilungen garantiert werden
soll. (APA)