In einer 50-Meilen-Zone rund um das Atomkraftwerk leben 8 Prozent der US-Bevölkerung

Grafik: www.closeindianpoint.org
Unter den "worst case scenarios" eines neuen Terroranschlags in den USA rangiert ein Angriff auf die Elektrizitäts- oder Wasserversorgung in den Großstädten des Landes ganz oben: Immer wieder wird die Möglichkeit eines Anschlags auf eines der insgesamt 103 Atomkraftwerke in den USA genannt. Nach dem 11. September begann die nationale nukleare Sicherheitsbehörde (NRC) zwar eine umfassende Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen für die Reaktoren - einige der Lücken in den Sicherheitssystemen sind aber bis heute nicht geschlossen.

Bisher war nur an die Folgen eines zufälligen Aufpralls eines Kleinflugzeuges auf ein Kraftwerk gedacht worden. Erst seit den vergangenen Monaten studieren Experten auch die Wirkung eines großen Flugzeuges, etwa einer Boeing 747, die in ein Kraftwerk gesteuert würde. Doch bereits am 7. November 2001 hob die US-Regierung ein vorübergehendes Überflugverbot auf. Derzeit gibt es keine Pläne wie etwa in Frankreich, Flugabwehrwaffen im Umkreis von Atomkraftwerken zu stationieren.

Geringe Überlebenschancen

Als eines der gefährdetsten Kraftwerke gilt das in Buchanan, direkt am Hudson River gelegene Indian Point Power Center, nur etwa 50 Kilometer nördlich von New York City (am 6. September entfernten die Betreiber, Energy Corporation, das Wort "Nuclear" aus dem Namen des Atomreaktors). Das Risiko für dieses Kraftwerk wurde am 11. September besonders drastisch illustriert: Die Flugroute des American-Airlines-Fluges Nr. 11 auf seinem Weg von Boston zum World Trade Center führte direkt über Indian Point. Dazu kommt, dass - wie von Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation erwähnt - in Al-Qa'ida-Stützpunkten in Afghanistan Pläne amerikanischer Atomkraftwerke gefunden wurden.

Vor dem 11. September 2001 glaubten nur die von Konservativen als übereifrige Umweltschützer abgetanen Gegner von Indian Point ernsthaft an die Möglichkeit eines "Tschernobyl-on-Hudson". Seit 9/11 ist die Kontroverse jedoch wieder aufgelebt, zumal rund 20 Mio. Menschen - mehr als sieben Prozent der Bevölkerung der USA - innerhalb eines 80-Kilometer-Radius um Indian Point leben. Experten zufolge könnte nur ein geringer Bruchteil von ihnen im Ernstfall evakuiert werden.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2002)