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Der indische Premier Vajpayee bei seinem Besuch in Kaschmir.

Foto: REUTERS/Stringer
Srinagar/Neu-Delhi - Die grimmigen Äußerungen von Atal Behari Vajpayee während seines Aufenthalts in Kaschmir wurden am Mittwoch von einigen indischen Kommentatoren als "indirekte Kriegserklärung an Pakistan" gewertet. In einer Ansprache an die im Grenzgebiet stationierten indischen Truppen sprach Vajpayee von einer nahen "entscheidenden Schlacht" und davon, dass die Armee auf Opfer gefasst sein müsse. Mehr als 600.000 indische und 250.000 pakistanische Soldaten stehen sich laut Expertenschätzungen an der Grenze gegenüber und liefern sich täglich Artilleriegefechte. Islamabad soll seine Langstreckenraketen in Stellung gebracht haben, die indische Marine hat fünf Kriegsschiffe Richtung Pakistan verlegt.

In Srinagar nahmen am Mittwoch Tausende Männer Abschied von dem am Dienstag erschossenen Separatistenchef Abdul Gani Lone. Der mit Rosen bestreute Körper des als gemäßigt geltenden Politikers wurde in einem offenen Wagen durch die Stadt gefahren. Indien und Pakistan weisen sich gegenseitig die Schuld an dem Tod Lones zu.

Alles deute auf einen unabwendbaren Krieg zwischen Indien und Pakistan hin, schreiben indische Journalisten. "Wir brauchen uns nicht vor einem atomaren Schlag zu fürchten. Indien kann einen nuklearen Holocaust überleben, während Pakistan davon ausgelöscht würde", kann man sogar lesen. Meistens ist aber "bloß" von einem limitierten Schlag auf die im pakistanischen Teil von Kaschmir vermuteten Terroristenstützpunkte die Rede.

Es gibt auch warnende Stimmen. Es wurden noch nicht alle Mittel ausgeschöpft, meinen sie - wie die Aufkündigung von bilateralen Verträge. Oft genannt wird die Verringerung der vertraglich festgelegten Wassermenge, die Indien über den Indus an Pakistan abgibt. Zudem könnte Delhi seinem Nachbarn den Status einer meistbegünstigten Nation aberkennen. Vor allem sollte Delhi befreundete Nationen wie die USA, Großbritannien und andere europäische Staaten darum bitten, ihren Druck auf Musharraf zu verstärken. (pid, Reuters, Der STANDARD, Print-Ausgabe 23.5.2002)