Graz - "Sie war ein quirliger, lustiger Floh. Beliebt und eine Vorzugsschülerin", so beschreibt Judith Putzer, Lehrerin am Pestalozzi-Gymnasium die zehnjährige Tina B.Dennoch erschoss sich Tina am Dienstagabend in einem Waldstück neben ihrem Elternhaus in Pirka bei Graz. Mit der Waffe ihres Vaters, eines Bundesheeroffiziers, zielte sie ins Herz. Die Walther PPK lag in einem unversperrten Kleiderschrank. Zuvor hatte das Mädchen den ganzen Nachmittag gut gelaunt mit einem Nachbarskind gespielt. Ein Testament, in dem sie ihr Bargeld der Großmutter und der Mutter vermacht, und ein Abschiedsbrief liegen zu dieser Zeit schon bereit. Den Eltern wünscht sie "ein langes Leben und viel Glück". Der Vater fand den Körper seiner Tochter und versuchte sie wiederzubeleben, doch als die Rettung eintraf, war sie tot. Völlig unerwartet Niemand rechnete mit dem nahen Selbstmord. Auch die 17-jährige Schwester nicht, als Tina sie fragte, wo ein Schuss tödlich wirke. Eine kolportierte verpatzte Mathematikschularbeit kann nicht der Grund sein. Putzer: "Diese Mathematikschularbeit wurde noch gar nicht korrigiert. Selbst wenn sie schief ging, hätte das schlimmstenfalls ein Gut im Zeugnis bedeutet." Schriftlich hinterließ Tina: "Die Schule ist scheiße." Die Grazer Familientherapeutin und Psychologin Mäni Kogler weist im Gespräch mit dem STANDARD darauf hin, dass in den letzten Jahren vermehrt auch Kinder unter Depressionen leiden. Gerade im Alter von zehn, elf Jahren, bei Beginn der Pubertät, "wenn sich die Kinder in ihrer Selbstfindungsphase befinden". Depressionen bei Kindern würden unterschätzt und selten diagnostiziert, da sie sich nicht wie bei Erwachsenen in Antriebslosigkeit, sondern oft in Kopf- oder Magenschmerzen äußern und daher missgedeutet werden. Kinderdepression im Ansteigen Die Ursachen für dieses Ansteigen des Phänomens der Kinderdepressionen seien ohne Zweifel im höheren Leistungsdruck, dem die Kinder ausgesetzt sind, zu suchen. Aber nicht nur. Kogler: "Den Kindern fehlen heute die spielerischen Möglichkeiten. Sie sind allzu sehr in einem programmierten Ablauf eingezwängt. Da gibt's die Ballettschule, da den Musikunterricht, das ist für sich genommen natürlich reizvoll. Aber das Ausleben ist oft nicht mehr möglich, das spielerische Äußern von Gefühlen, Ängsten und Aggressionen. Im Spiel erwirbt sich das Kind Kompetenz, damit umzugehen. Fehlt die Möglichkeit, besteht die Gefahr, dass sich das Kind in sich zurückzieht." Im Jahr 2000 nahmen sich acht Kinder unter 15 das Leben, 60 Jugendliche (bis 19 Jahre) suchten den Tod. (cms, mue/DER STANDARD, Printausgabe 23.05.2002)