Irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten haben die Nerds den PC in Geiselhaft genommen. Die Nerds sind quasi eine Spezies von einem anderen Planeten, die mit groß geränderten Brillen im Dunkel der Nacht vor flimmernden Bildschirmen tief in den Innereien von Soft- und Hardware wühlen, während sich leere Pizzaschachteln und Getränkedosen neben ausgeweideter Elektronik in Räumen stapeln, die man am besten als Ground Zero beschreibt. Die Geiselnahme im Dunkel der Nacht passierte scheinbar unbemerkt, aber mit ihren weit reichenden Folgen lebt der überwiegende Teil der Menschheit heute noch. Normalsterbliche, die sich kein Hemd ohne Logo anziehen und in kein Auto ohne Stern auf der Haube steigen würden, haben sich an die Knechtschaft gewöhnt: graue Boxen und Kabelsalat unter unseren Schreibtischen, hässlich graue, immer größer werdende Bildschirme auf den Tischen. Irgendwann haben wir aufgegeben. Seither nehmen wir hin, dass der aufregendste, wichtigste Lebensbegleiter unseres Zeitalters zu einem unansehnlichen Kasten verkommen ist, einem klobigen digitalen Kraftwerk, das am besten aus dem sonst durch und durch gestylten Alltag verdrängt wird. Widerstand gegen die Nerds regt sich nur an einer lebendigen, kleinen Front, die von einem Missionar mit abgetragenen Jeans und dunklem Pseudorollkragen angeführt wird. Vor etwas mehr als fünf Jahren kehrte Jobs zu Apple zurück, dem Unternehmen, das er in den 70er-Jahren zusammen mit Steve Wozniak gründete und von dem er 1985 schmählich verstoßen wurde. Seine Rückkehr gestaltete sich zu einem Triumphzug: Nicht nur führte er Apple zu einer Renaissance, sondern mit dem ersten iMac legte Jobs eine Art Befreiungstheologie vor. Der erste iMac wurde zu einem Gegenentwurf der trögen Welt grauer PC-Boxen. Aber obwohl es in erster Linie die niedliche rundliche Form und die bunten Farben waren, für die der Original-iMac bekannt wurde, steht hinter dem Design aus der Werkstatt des Briten Jonathan Ive und Jobs' Vision auch eine Abkehr von der techniklastigen Konzeption des PC. "Sag hallo zum iMac", propagierte die Werbekampagne und suggerierte damit: Dein iMac ist ein Begleiter, ein Alter Ego, das dir hilft, deine Träume zu verwirklichen, "anders zu denken" - nicht einfach eine seelenlose Maschine für Buchhalter. Dieser antropomorphe Entwurf, mit dem der Maschine eine Seele eingehaucht und der Mythos zurückgegeben wird, den sie über die Jahre der Geiselhaft verloren hat, war der Ausgangspunkt für die Neuauflage des iMac zu Beginn dieses Jahres. Während alle Welt auf eine Art Facelift für den in die Jahre gekommenen iMac wartete, überraschten Jobs und Ive mit etwas völlig Revolutionärem. Der neue iMac, laut Ive von einer sich stets dem Licht zuwendenden Sonnenblume inspiriert, ist ein schwebender Bildschirm, der auf einem Schwenkarm am halbrunden, weißen Computer ruht. Mehr noch als beim Vorgänger bringt dies die intuitive Verbundenheit zwischen dem Mensch und seinem Mac zum Ausdruck: Wer vor dem Gerät sitzt, greift automatisch nach dem klarsichtigen Bildschirmrand und richtet den Schirm nach seinen Bedürfnissen. Den Bewegungen des Menschen am Schreibtisch, einmal vorgebeugt, dann wieder zurückgenommen, folgt der Schirm, so wie er sich dreht, wenn man jemand anderem etwas zeigen will. Statt dass sich also der Mensch ständig an seinen Computer anpasst, wird die Beziehung eine wechselseitige, vom Menschen bestimmte. Jedes Detail ist dabei funktional durchdacht. Anders als bei den meisten Schreibtischlampen hält der Schwenkarm den Schirm genau in der Position, die ihm zugewiesen wird, und das auch bei starker Beanspruchung. Der Arm lädt dazu ein, den iMac bei Bedarf auch hochzuheben und woanders hinzustellen. Gleichzeitig, sagt Ive, signalisiert dies Menschen, die leicht von Technik eingeschüchtert werden: Du darfst mich angreifen, ich halte das aus. Und die Halbkugel, die der Computer ist, hat, anders als PC-Boxen, auch einen funktionalen Grund, auf dem Schreibtisch zu stehen: Sie hält den Schirm und bildet so eine Einheit. Frühere Entwürfe, bei denen der Computer hinter dem Schirm verpackt wurde, hat Ive nach einjähriger Entwicklung wieder fallen gelassen: Sie hätten den flachen Schirm wieder klobig gemacht, und Festplatte und CDs laufen in vertikaler Anordnung langsamer als in der horizontalen Position der Halbkugel. Zunehmend setzt Apple darauf, dass es seinen scheinbaren Nachteil - das eigene Betriebssystem Mac OS X anstelle von Windows, das die PC-Welt beherrscht - zum Vorteil wenden kann, indem es dem Benutzer Übersichtlichkeit statt verwirrender Vielfalt bietet. Mit seinem "Digital Lifestyle"-Konzept verwandelt sich der Mac zum leicht zu verwendenden Zentrum, um das herum andere digitale Geräte wie Foto- oder Videokamera oder MP3-Player kreisen. Wenn ein Gerät angesteckt wird, werden automatisch die Programme zu seiner Synchronisation aktiv - um die Bilder in den Mac zu laden und dort zu bearbeiten oder um neue Musik von einer CD auf den MP3-Player zu spielen. Dabei bleibt der Mac kompatibel zur Windows-Welt: Wer am anderen Ende einer Internetleitung sitzt, wird nie erfahren, ob das Word-Dokument, das Bild oder die Musik von einem Mac oder einem PC stammt. Steve Jobs hat die Zeit seines Exils außerhalb von Apple für prägende Inspirationen genutzt. Die eine war sein digitales Trickfilmstudio Pixar, das für Disney unter anderem Toy Story produzierte und Jobs eine Menge über die Animation künstlicher Objekte beibrachte. Die andere ist der japanische Star der Unterhaltungselektronik, Sony, von dem Jobs bedingungslose Konsumentenorientierung lernte. Sony wiederum, dem früher Übernahmegelüste auf Apple nachgesagt wurde, hat wesentliche Impulse für seine VAIO-Computerlinie von Apple bezogen, neben dem Design auch die Integration von Software für andere digitale Produkte aus dem Hause Sony. Sein neues Selbstverständnis brachte Jobs schon vor ein paar Jahren in einem Interview mit Business Week auf den Punkt: "Ich habe früher oft gesagt, dass Apple das Sony der Computerindustrie werden soll. Aber in Wirklichkeit sollte Apple das Apple dieser Industrie sein." Vielleicht ist dann auch die Herrschaft der Nerds über die PC-Welt beendet. derStandard/rondo/24/5/02