George Taboris Theater zwischen Unsinn und Wahnsinn: Ursula Höpfner und das Cello

Foto: Drama
Berlin - Greise, weise, leise lächelnd schafft sich George Tabori seine eigene Theaterwelt, als Dramatiker wie als Regisseur. Wenige Tage vor seinem heutigen 88. Geburtstag präsentierte er am Berliner Ensemble sein neuestes Werk und inszeniert Das Erdbeben-Concerto auch gleich selbst zum kräftig applaudierten Erfolg. Berlin ist nicht Pompeji, die Mark Brandenburg hat keinen Vesuv. Aber man wird sich ja wohl noch fragen dürfen, warum eigentlich nicht? Und man wird sich ja als Dichter und Dramatiker, der all die Wirren und Grauen des letzten Jahrhunderts in Budapest und Berlin, London und Los Angeles am eigenen Leib er- und überlebt hat, vorstellen, ausmalen dürfen, wie das denn aussehe - ein Erdbeben in Berlin. Tabori schreibt ein Weltuntergangsscherzo mit absurdem Witz, mit verrückter Anmut. Die ganze Welt ist für ihn Bühne, Theater, Irrenhaus. Da hinein bugsiert er ein Kammerensemble vorzüglicher Schauspieler: Boris Jacoby (Klavier), David Bennent (Violine), Ursula Höpfner (Cello), Eleonore Zetzsche (Sängerin), Margarita Broich (Posaune) und Axel Werner (Kontrabass). Sie stimmen nur ihre Instrumente zur Chaos-Kakophonie, und ob sie wirklich Menschen in der Garderobe oder in der Klapsmühle (Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Margit Koppendorfer) sind, ist nicht ausgemacht. Sie fabulieren auch von ihrem Leben als Hund, vom Dackel bis zum Pittbull. Auch das natürlich mit menschlichen Ecken und Kanten. Sie machen sich Gedanken, denken meist um die Ecke, spielen auf der Klaviatur der Sprache (Übersetzung: Ursula Grützmacher-Tabori) mit kunstvoll ernster Einfalt. Der kleine, grotesk komische Totentanz schlägt Kapriolen ins Absurde, spielt mit Zitaten und Variationen von der Bibel über Shakespeare bis Brecht oder Thomas Bernhard. Er spielt auch sanft mit Entsetzen, jongliert mit Kalauern. Taboris Regie und die Spielfreude seines Ensembles sorgen für nachdenkliches Vergnügen. Zwischen Unsinn und Wahnsinn geben sie dem Affen kräftig Zucker. Konfuse Hektik Boris Jacoby hat schön konfuse Hektik als Pianist. David Bennent besticht durch explosive Gespanntheit, die entlädt sich kontrolliert verrückt. Ursula Höpfner ist die Cellistin Mathilda mit großäugigem Staunen, aber auch hinreißend ganz Hündin. Margarita Broich genießt Pariser Exklusivität, ist entschieden feiner als Axel Werner als Kontrabass und Pittbull. Über allem aber schwebt komödiantisch Eleonore Zetzsche. Als Sängerin ohne Singen, Hündin ohne Bellen ist sie mit Grandezza, naserümpfender Blasiertheit, ganz lustvoll Star - vom Menschen- und Hundegewusel Lichtjahre entfernt. Taboris Endspiel-Impromptu, das nichts ganz ernst und doch alles wichtig nimmt, hat verrückten Charme. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 5. 2002)