Welt
"Optimierung des Menschlichen" und "Biokratie"
Sozialwissenschafterin Lisbeth Trallori über den Machbarkeitswahn und alten Rassismus in neuem Gewande
Klagenfurt - Gerät der von Biotechnologie und Biomedizin im Reagenzglas neu erschaffene "Mensch nach Maß" sich selbst zum Segen oder zum Fluche? Wird der Humanismus abendländischer Prägung zugunsten einer jeder Moral baren Züchtung des vollkommenen Menschen abgelöst? Fragen, die etwa Peter Sloterdijk in seiner heftig umstrittenen Schrift Regeln für den Menschenpark aufgegriffen hat. "Er hat das, was in der Biotechnologie immanent angelegt ist, nur konsequent zu Ende gedacht", findet Lisbeth Trallori, die sich als Sozialwissenschafterin vor allem auf Techniksoziologie, insbesonders Gen- und Reproduktionstechniken spezialisiert hat. Sie sieht im "Machbarkeitswahn" neuer repoduktionsmedizinischer Verfahren auch große Gefahren. Denn abgesehen vom Gesundheitsaspekt gehe es in unserer Hochleistungsgesellschaft vorrangig um eine "Optimierung des Menschlichen" unter dem Druck ökonomischer Vorgaben: "Das Ziel vor dem neoliberalen Hintergrund ist ein möglichst kostengünstiges Leben, frei von Behinderung, frei von Krankheit und frei zur Wahl des Geschlechts."
Keine Frau werde sich dem entziehen können, wenn die Versicherungen ihr krankes oder behindertes Kind ablehnen. Mit den Möglichkeiten des Eingriffs in den Gencode des Lebens könne nun schon vor der Geburt selektiert werden. Das sei aber nichts anderes als der "alte Rassismus" in der Verkleidung eines "neuen technologischen Selektionismus" und einer "Neoeugenik" als Grundlagen eines künftigen "techno-totalitären Weltbilds".
Biokratie
Trallori: "Im NS-System wurden Menschen aufgrund äußerer Merkmale ausgesondert und getötet. Das besorgen jetzt die biokratischen Experten schon vor der Geburt." Doch der Selektionscharakter werde in der gegenwärtigen Diskussion gar nicht wahrgenommen. Lästige Ethikdebatten blieben ausgespart.
Trallori entwirft in ihrer kritischen Analyse auch ein völlig neues "postbiologisches" Menschenbild, in dem alle Artgrenzen aufgehoben würden. "Menschsein reduziert sich dann wie tierisches oder pflanzliches Leben auf seinen Gencode, also ein informelles Steuerungssystem, das beliebig reorganisierbar und austauschbar ist."
Der neu erschaffene und vielleicht auch noch geklonte "Mensch nach Maß", verkörpere letztendlich aber nichts anderes als die "alte religiöse Vorstellung von seiner Auferstehung von den Toten". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26. 5. 2002)