Tunis - In dem umstrittenen Verfassungsreferendum in
Tunesien hat am Sonntag nach amtlichen Angaben eine überwältigende
Mehrheit den geplanten Änderungen zugestimmt. Wie das
Innenministerium am Montag in Tunis verlautbarte, stimmten 99,52
Prozent der Stimmberechtigten mit "Ja". Die vom Parlament
beschlossene Reform der Verfassung sieht unter anderem vor, neben dem
Abgeordnetenhaus eine Ratsversammlung als zweite Kammer einzurichten.
Außerdem ermöglicht sie dem seit 1987 regierenden Präsidenten Zine el
Abidine Ben Ali eine vierte Amtszeit ab 2004. Zur Abstimmung stand die Änderung von etwa der Hälfte aller
Verfassungsartikel. Rund dreieinhalb Millionen Bürger waren
stimmberechtigt. Teile der Opposition und mehrere
Menschenrechtsgruppen hatten zum Boykott des Referendums aufgerufen.
Sie warfen Ben Ali vor, wie sein von ihm entmachteter Amtsvorgänger
Habib Bourguiba eine "Präsidentschaft auf Lebenszeit" anzustreben,
und kritisierten, dass damit ein demokratischer Machtwechsel
ausgeschlossen werde.
Die Regierung hatte die Verfassungsreform als Schritt in Richtung
Demokratie dargestellt.
Das Regime des seit 15 Jahren herrschenden Staatschefs Ben Ali
geht mit harter Hand gegen die demokratische Opposition und gegen
Menschenrechtsgruppen vor. Die Menschenrechts- und
Gefangenenhilfe-Organisation amnesty international (ai) wirft dem
Regime gravierende Menschenrechtsverstöße vor. "Die tunesische
Regierung benützt den 'Kampf gegen den Terrorismus', um die
Repression gegen politisch Andersdenkende zu verschärfen",
kritisierte der jüngste ai-Bericht. Bei den Übergriffen, wie sie von
amnesty international regelmäßig aufgelistet werden, handelt es sich
um gezielte Drohungen und Einschüchterungen, behördliche Schikanen,
Sachbeschädigungen und Einbrüche in Büros und Privatwohnungen. Diese
dienen auch der Beschaffung von Informationen aus dem Kreis der
Regimekritiker. Die höhere Stufe ist die Anwendung von physischer
Gewalt und die Inhaftierung. In den Gefängnissen, in denen vor allem
Islamisten sitzen, sind verschiedenste Formen der Folter
dokumentiert.
Von der Demokratisierung des Staates, die der frühere
Geheimdienstchef Ben Ali nach seinem stillen Staatsstreich gegen
Habib Bourguiba 1987 versprochen hatte, wurde nichts verwirklicht,
kritisiert die Opposition. Vielmehr habe er das nordafrikanische Land
in einen Polizeistaat verwandelt. (APA)