Nahost
Israelische Armee nimmt Hamas-Führer fest
Zahlreiche Festnahmen im Westjordanland - Bush schickt Vermittler in den Nahen Osten
Jenin/Jerusalem/Rom - Die israelische Armee ist
am Dienstag neuerlich in die palästinensische Stadt Jenin im
Westjordanland und das angrenzende Flüchtlingslager vorgestoßen und
hat dort den örtlichen Führer der radikalen Hamas-Organisation sowie
weitere mutmaßliche militante Palästinenser festgenommen. Bei einem
Feuergefecht wurde ein Palästinenser erschossen. Jenin wurde zum
militärischen Sperrgebiet erklärt. US-Präsident George W. Bush
kündigte unterdessen an, den Nahost-Abteilungsleiter des
Außenministeriums, William Burns, und CIA-Chef George Tenet zu
Gesprächen über Reformen der palästinensischen Selbstverwaltung und
die Schaffung wirksamer Sicherheitskräfte in den Nahen Osten zu
entsenden. Die israelische Militäroperation in Jenin war eine Reaktion auf
ein Selbstmordattentat, bei dem am Montag drei Menschen ums Leben
kamen. Bei dem Anschlag auf ein Einkaufsviertel bei Tel Aviv starben
eine 56-jährige Frau, ihre 18 Monate alte Enkelin sowie der
18-jährige Attentäter. 53 weitere Personen, darunter mehrere
Kleinkinder, wurden zum Teil schwer verletzt. Zu der Tat bekannten
sich die "Al-Aksa-Märtyrerbrigaden", die aus radikalen Mitgliedern
der Fatah-Organisation des palästinensischen Präsidenten Yasser
Arafat zusammengesetzt sind. Der Attentäter war ein Verwandter eines
Al-Aksa-Führers, der von den Israelis gezielt getötet wurde. Die
Gruppe kündigte an, die Anschläge würden weitergehen, so lange Israel
palästinensisches Gebiet besetzt halte. Der Anschlag wurde von der
palästinensischen Führung verurteilt.
Kein Zeitplan
Zur Entsendung von Burns und Tenet in die Nahostregion sagte
Präsident Bush am Dienstag am Rande des NATO-Russland-Gipfels auf dem
Militärstützpunkt Pratica di Mare bei Rom: "Wir gehen mit unserem
Plan voran". Außenminister Colin Powell erklärte, für die Vorlage
eines genauen Zeitplans sei es noch zu früh. Burns reist nach Powells
Worten schon am Dienstagabend ab. CIA-Direktor Tenet werde
wahrscheinlich am Freitag folgen. Vorher wird Tenet an diesem
Mittwoch mit Bush in Washington zusammentreffen. Bush verurteilte den
jüngsten Selbstmordanschlag bei Tel Aviv auf das Schärfste. Er
unterstrich die Bedeutung neuer Institutionen für die Entstehung
eines palästinensischen Staates und die Schaffung wirksamer
Sicherheitskräfte.
Nach Informationen der israelischen Tageszeitung "Yediot Aharonot"
will Tenet die zahlreichen Sicherheitsapparate der Palästinenser
unter einem Dach vereinen. Zugleich sollten die Palästinenser mehrere
Millionen US-Dollar erhalten, um die während der jüngsten
israelischen Militäraktionen zerstörte Infrastruktur ihrer
Sicherheitskräfte neu aufzubauen. Tenet strebe eine Neuauflage der
Sicherheitszusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern an.
Arafat will neues Kabinett bilden
Arafat wolle innerhalb der kommenden zehn Tage ein neues Kabinett
bis zu den geplanten Wahlen im Dezember berufen, berichtete die
palästinensische Tageszeitung "Al Ayam" nach einer Kabinettssitzung
am Dienstag in Ramallah. Eine Forderung an Arafat sei, einem
künftigen Ministerpräsidenten einen Teil seiner Kompetenzen zu
übertragen. Arafat hat am Montag allgemeine Wahlen in den
palästinensischen Selbstverwaltungsgebieten für kommenden Dezember
angekündigt, ohne sie von einem vorhergehenden Abzug der israelischen
Truppen abhängig zu machen. Dabei sollen sowohl der Präsident als
auch das Parlament (Legislativrat) und die Kommunalvorstände neu
gewählt werden.
Der deutsche Außenminister Joschka Fischer will Israelis und
Palästinensern nach Angaben aus Diplomatenkreisen in Saudiarabien
eine Art Stufenplan unterbreiten. Dieser sei bereits mit den USA,
Russland, der EU und den Vereinten Nationen abgestimmt, hieß es in
der saudiarabischen Hauptstadt Riad. Der Plan sehe zuerst einen
Waffenstillstand und einen israelischen Rückzug aus den
palästinensischen Autonomiegebieten vor, dann solle Israel die
völkerrechtswidrig errichteten jüdischen Siedlungen räumen und sich
aus den 1967 besetzten Gebieten zurückziehen. Anschließend könnten
die Palästinenser einen unabhängigen demokratischen Staat gründen.
Nach einer zweijährigen Übergangsfrist sollten die Grenzen zwischen
den beiden Staaten in einem Friedensabkommen endgültig festgelegt
werden. Jerusalem solle die Hauptstadt beider Staaten sein.
ai-Bericht
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation amnesty international
(ai) haben die israelischen Streitkräfte im Jahr 2001 mehr als 460
Palästinenser getötet, unter ihnen 79 Kinder. Bewaffnete Gruppen der
Palästinenser hätten mindestens 187 Israelis vorsätzlich getötet,
unter ihnen 154 Zivilisten und mindestens 36 Kinder, hieß es weiter
in dem am Dienstag publizierten ai-Bericht. Im Vorjahr seien mehr als
2.000 Palästinenser verhaftet worden, berichtete die
Menschenrechtsorganisation. Bei vielen der Festgenommenen handle es
sich um gewaltlose politische Gefangene. (APA/AP/dpa)