Forschung & Geschlecht
USA: Enthaltsamkeit statt Verhütung
Regierung vergibt 135 Millionen Dollar für konservative Erziehungskampagnen an amerikanischen Schulen
Washington - Für die Regierung in Washington ist die
Sache ganz klar: Sex ohne Ehe ist schlecht. Schlecht, weil
Jugendliche schwanger werden, weil sie sich Krankheiten holen, und
weil sie sich "schädigende psychologische Wirkungen" einhandeln. So
schlecht ist außerehelicher Sex laut US-Regierung, dass Präsident
George W. Bush die laufenden öffentlichen Erziehungskampagnen um 135
Millionen Dollar (knapp 147 Millionen Euro) aufstockt. Der eher
prüden amerikanischen Gesellschaft ist das aber nicht genug.Verhütungsmaßnahmen verheimlichen
Am liebsten wäre es der politischen Rechten, wenn von
Verhütungsmaßnahmen gar keine Rede mehr wäre. Wie soll man die Kinder
zu Enthaltsamkeit erziehen, wenn man sie gleichzeitig darüber
aufklärt, dass Ansteckung und Schwangerschaft sich auch anders
vermeiden lassen? "Der einzig sichere Sex ist Sex in einer monogamen
Ehe", behauptet Wendy Wright, die Sprecherin der konservativen Gruppe
"Besorgte Frauen für Amerika". Den Kindern etwas anderes
beizubringen, sei erniedrigend: "Das ist, als ob man sie wie Tiere
behandeln würde - nach dem Motto: 'Du machst es ja sowieso; du kannst
dich nicht beherrschen'."
Geteilte Meinung
Die Regierung hat wiederholt klargemacht, dass sie diese Ansicht
teilt. Erst beim UN-Kindergipfel zu Beginn des Monats erklärte
Gesundheitsminister Tommy Thompson: "Enthaltsamkeit ist die einzig
sichere Möglichkeit, um sexuell übertragbare Krankheiten, vorzeitige
Schwangerschaft und die gesellschaftlichen und persönlichen Probleme
zu vermeiden, die sich aus außerehelicher sexueller Aktivität
ergeben." Präsident Bush stützt die Position, Enthaltsamkeit sei "die
sicherste und einzig wirkungsvolle Art, ungewollten Schwangerschaften
und sexuell übertragbaren Krankheiten vorzubeugen".
Funktionieren Enthaltsamkeits-Programme?
Dabei ist überhaupt nicht geklärt, ob die teuren
Erziehungsprogramme etwas bringen. Natürlich funktioniert der Schutz
durch Enthaltsamkeit, daran gibt es keinen Zweifel: "Niemand, der
enthaltsam lebt, wird schwanger oder bekommt eine sexuell
übertragbare Krankheit", sagt Bill Albert von der Nationalen Kampagne
zur Vermeidung von Schwangerschaft bei Jugendlichen. Aber immerhin
haben etwa die Hälfte der 15- bis 19-jährigen Amerikaner bereits
erste sexuelle Erfahrungen gemacht. "Die Frage ist, ob die
Enthaltsamkeits-Programme funktionieren."
Albert findet derartige Programme "in hohem Maße unangemessen" -
seiner Meinung nach gibt die Regierung soviel Geld für ihr
Erziehungsprogramm aus, dass die Untersuchung der Wirksamkeit daneben
völlig untergeht. Tatsächlich zeigt sich Washington sehr großzügig,
wenn es darum geht, amerikanische Teenager auf Enthaltsamkeit
einzuschwören: jährlich fließen allein dafür mehr als 130 Millionen
Dollar in die Schulen.
Die geförderten Schulen müssen ihren SchülerInnen beibringen, dass
"sexuelle Aktivität außerhalb der Ehe vermutlich schädigende
psychologische und physische Auswirkungen hat". Die Amerikanische
Union für Bürgerliche Freiheiten (ACLU), eine der führenden
US-Bürgerrechtsorganisationen, hat einen ersten Prozess im
US-Bundesstaat Louisiana angestrengt. Demnach würden die Fördermittel
zu Werbezwecken für eine christliche Lebensweise missbraucht.
Empört ist die ACLU auch darüber, dass LehrerInnen nicht über Verhütung
und Kondome sprechen dürfen. Der Mangel an Information in den Schulen
sei "atemberaubend unverantwortlich". Trotz der massiven
Regierungskampagne würden nicht alle Jugendlichen enthaltsam leben,
sagt Catherine Weiff, eine Projektleiterin der Organisation. "Sie
müssen wir schützen. Ihr Schutz ist wichtiger, als eine Ideologie zu
verbreiten."
USA hält Platz mit den meisten jugendlichen Schwangeren
In den USA werden jedes Jahr etwa eine Million junger Mädchen
schwanger. Nach Angaben der US-Nichtregierungsorganisation halten die
Vereinigten Staaten damit den ersten Platz unter sämtlichen
Industrienationen - die Rate ist doppelt so hoch wie in
Großbritannien, vier Mal so hoch wie in Deutschland und acht Mal so
hoch wie in den Niederlanden. (APA)