Foto: Zomba
Alec Empire
Intelligence and Sacrifice
(Zomba)
Von Paul Poet
"Ein Organismus verfällt, wenn er nicht ständig gefordert wird." Wenn Alec Empire loslegt, Berlins gerade mal 30 Jahre alter Techno-Punk-Pionier, dann kommt es wie ein frontaler Faustschlag. Gefangene werden nicht gemacht. Riffgedresche aus dem Heavy Metal. Ultrabrutale Techno-Beats. 77er-Schreiparolen für die Weltrevolution. In Leder, Nieten und böse Blicke gehüllt, von donnerndem Bühnennebel umwabert, ist er der Geist aus der Flasche der Revolutionsmaschine Rock, eine Action-Barbie mit Sex und Schlagring. Da hagelt durch einen Dickicht aus Geschrei und aggressiver Ekstase: Deutschland muss sterben! Fuck you all! In einer Welt der Ich-Maschinen und der allumfassenden Abgeklärtheit will ein Mann allein zum Gegenmarsch blasen. Natürlich mit ganzen Stadionladungen Kids im Gefolge. Mit seiner Band Atari Teenage Riot war es ihm schon zeitweise gelungen, vor allem jenseits des deutschsprachigen Heimatraums. Eine Million verkaufte Platten weltweit, ausverkaufte US-Touren mit Charts-Kapazundern wie Ministry, Nine Inch Nails und Beck. Was 1993 als doppelbödiges Brettspiel begonnen hatte, wurde mit dem plakativen Band-Konzept von Hardcore-Multikulti-Ravern einer der beständigsten Versuche, politische und musikalische Radikalität in den Mainstream zu pumpen. "Mir scheint, die Leute sind in den letzten fünf Jahren verblödet wie kaum zuvor, Opfer der Überinformation. Da glaubt man, die Welt komplett zu verstehen, wenn die Internetsuche 40 Erfolgsmeldungen auswirft. Und kapiert gar nix mehr, wenn es um Themen, nicht um Posen geht. Die gucken lieber aus dem Fenster. Und fallen aus allen Wolken, wenn so was wie der 11. September passiert, weil sie dachten, die Welt sei happy und McDonald's!" Als Kulturterrorist, der dem Establishment lieber einmal mehr als weniger musikalisch den Krieg erklärt, hat ihn jetzt allerdings die Vorsicht vor Parolen gepackt. Die neu geordnete Bush-Welt vertraue ohnehin schon in erschreckendem Maß blinder Gleichschaltung. Vor zehn Jahren hatte er noch als zynischer Abstinenzler die Ecstacy-Kinder mit der Acid Techno-Hymne SuEcide aufgefordert, sich dem Pillenhedonismus hinzugeben, um als zukünftige Drogenwracks und Sozialhilfeempfänger den von ihm gehassten Staat zu zerstören. Heute erschreckt ihn das Arrangement der Massen mit der Droge. Stichwort love Parade . Auf der Suche nach neuen Mitteln beginnt sogar ein menschliches Ausrufezeichen zu reflektieren und übt sich solo im über fünf Jahre entstandenen Opus magnum Intelligence and Sacrifice in einer intensiven Suche nach der Seele in der Musik. Doch auch das lärmt und kracht. Eine wichtige Rolle dabei spielte auch das Ausbrennen von ATR. Ende 1999 war man erschöpft von drei Jahren Welttournee, hatte mit 60 Second Wipeout ein kakophonisches Album veröffentlicht, das sich nur mehr über bis zum Anschlag gedrehte Lautstärke- und Frequenzregler definierte. Carl Crack, der an Schizophrenie erkrankte schwarze Rapper, musste dringend in Langzeittherapie, die vor wenigen Monaten erfolglos mit Selbstmord endete. Wie Mitte der 90er, als Empire seine Verbindung zum Label Mille Plateaux opferte und damit sämtliche Bande zur für ihn pseudo-intellektuellen Szenerie der Laptop-Musiker, nützt er jetzt auch diesen Einschnitt bestmöglich. Hatte er damals als Galionsfigur der "Intelligent Dance Music" den intelligenten Anspruch gegen "Straßenkompatibilität" eingetauscht, schafft er sich jetzt die perfekte Neugeburt als MTV-tauglicher Prometheus. John Hillcoat, der Regisseur hinter Nick Caves schmalzigem Mord an Kylie Minogue ( Where the Wild Roses Grow ), rückt seine Clips ins rechte Prime-Time-Licht. In Japan wird er zur kultigen Manga-Figur. Hier kommen Tausende, wenn er Konzerte gibt. In den USA kippen Dutzende Youngster-Projekte in seinen "Digital Hardcore"-Stil. Und die aktuelle Doppel-CD brilliert mit dem tatsächlich Besten, das er in seinem Leben gemacht hat, ruhige Ambient-Tracks und die ATR-Ästhetik weiter verfolgende Brüll-Hits aus elektroidem Brutalfunk mit gelegentlichen Speedcore-Ausfällen. Was Empire zur Zeit am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie man Sound politisch interpretieren kann. Warum annektieren Nazis zunehmend Extremtechno? Wie schaffen es alte linke Hausbesetzer wie Rammstein und sich selbst verleugnende ehemalige Rechtsradikale wie die Böhsen Onkelz sich gemeinsam im Mainstream zu sonnen? Der einzig notwendige Widerstand, der laut Empire hier nötig ist, ist der gegen die Spaßgesellschaft. Eindeutigkeit ist die Devise. Der Glanz und die Revolte von MC5, Motörhead und Stooges wird in den tanzbaren Kommerz von 2002 übersetzt. Revolution von innen! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 5. 2002)