Für den in Berlin lehrenden Bevölkerungswissenschafter Rainer Münz wäre eine Ex-nunc-Annullierung allerdings "eine angemessene Geste". In der vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen, vom Renner Institut und vom Ost- und Südosteuropa-Institut im Historischen Museum der Stadt Wien veranstalteten Diskussion warf Münz auch die provokante Frage auf, warum man die Entschädigung von Sudetendeutschen nicht mit jener von Juden und NS-Zwangsarbeitern vergleichen dürfe. Die Debatte darüber müsse erlaubt sein, "wir müssen eine Antwort finden, und sei es in Form einer willkürlichen zeitlichen Grenze".
Was die viel beschworene symbolische Geste gegenüber den Sudetendeutschen betrifft, so meinte der Prager Historiker Jan Kren, man sei in der Tschechischen Republik schon auf gutem Weg zu einer Lösung für jene rund 150.000 sudetendeutschen Antifaschisten gewesen, die nach dem Krieg im Land blieben. Durch die jüngste Debatte sei das "gestoppt" worden.
Kren verwies darauf, dass es in praktisch allen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern ähnliche Verordnungen wie die Benes-Dekrete gegeben habe. Eine vergleichende Studie der tschechisch-deutschen Historikerkommission soll noch heuer abgeschlossen werden. Wollte man diese Frage EU-weit öffnen, "dann müssen wir bei der weiteren Integration wahrscheinlich eine Zeit lang stehen bleiben".
Opferrolle
Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb erinnerte an eine der Ursachen dafür, dass das Thema neue Brisanz zwischen Wien und Prag entwickeln konnte: Wegen seiner offiziellen Rolle als erstes Opfer Hitlerdeutschlands habe Österreich nach dem Krieg mit den Sudetendeutschen lange nichts zu tun haben wollen.
Im heutigen Europa müssten kollektive Vertreibungen als Verbrechen gelten, "ganz egal aus welchen Gründen", meinte die Journalistin Eva Menasse. Sie plädierte für eine Rücknahme der Emotionen auf allen Seiten: "Die Tschechen sind nicht Zeman und seine Aussagen, und die Österreicher sind nicht Haider und seine Aussagen."