Stockholm - Pakistan verfügt entgegen bisherigen Annahmen über ein größeres atomares Waffenarsenal als Indien. Die neuesten Ergebnisse einer Studie des internationalen Friedensforschungsinstitutes SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) werden kommende Woche veröffentlicht. Shannon Kile, Atomwaffenexperte bei SIPRI, und Experte für Militärtechnologie und internationaler Sicherheit, warnt bereits jetzt vor dem Risiko eines Atomkrieges zwischen Indien und Pakistan.Pakistan baute Arsenal systematisch aus Nach der neuen Studie wird damit gerechnet, dass Pakistan im Besitz von 48 bis 50 nuklearen Sprengköpfen ist; Indien verfügt heute schätzungsweise über 30 bis 35. "Das Interessante daran ist die Tatsache, dass man bisher davon ausgegangen ist, dass Indien über ein größeres Arsenal an Atomwaffen verfügt als Pakistan", so Kile. "Pakistan hat in den letzten Jahren systematisch daran gearbeitet, sein Atomwaffenarsenal auszubauen." Musharraf trage Verantwortung für Eskalation Auch die Verantwortung für die Eskalation des Konflikts sieht Kile eher bei Pakistans Präsident Pervez Musharraf, da dieser am Montag militante Anhänger mit einer im Fernsehen übertragenen Rede angespornt habe, während gleichzeitig ein weiterer Raketentest durchgeführt wurde. "Musharrafs TV-Rede war ziemlich destruktiv," meint Kile zur APA. "Vor allem weil er sich zu gemeldeten Grenzverletzungen Pakistans nicht geäußert hat. Pakistan hat diese Überschreitungen sofort zu stoppen." "Kritischer Punkt" Pakistan stehe international unter Druck, "endlich aktiv zu werden" und seine Militärs davon abzuhalten, die Demarkationslinie zum indischen Teil Kaschmirs zu überschreiten. Kile meint außerdem, dass es im Falle eines bewaffneten Konfliktes sehr schwierig wäre, Atomangriffe zu verhindern. "Die jetzige Situation ist an einem kritischen Punkt," so Kile. "Nur ein oder zwei unverantwortliche Aktionen können zu einem größeren bewaffneten Konflikt ausarten." Die "jetzige angespannte Stimmung" stellt laut Kile "eine enorme Bedrohung" dar. Beide Seiten seien so in ihren Positionen fest gefahren, dass entweder ein unglücklicher Zwischenfall oder unverantwortliches Handeln einen Atomkrieg zwischen Pakistan und Indien auslösen könnte. "Es ist vor allem alarmierend, dass die unverantwortlichen Kommentare über einen Kernwaffenkrieg von beiden Seiten, Indien und Pakistan, kommen." Laut SIPRI deuten die Aussagen vor allem seitens des pakistanischen Militärs darauf hin, dass diese sich "völlig unbewusst darüber zu sein scheinen, wie zerstörerisch diese Waffen und deren Langzeitfolgen wirklich sind." Beide Seiten arbeiteten an weiterer Vergrößerung der Arsenale Pakistans Waffen basieren auf Uran, während Indien Plutonium verwendet. Laut Friedensforscher Kile kommt eine gewisse Unsicherheit ins Spiel, weil man nicht wisse, wieviel Uran Pakistan bereits produziert hat und wie groß die Kapazität ist, weiterhin Uran zu produzieren: "Wir wissen nicht wie effektiv Pakistan arbeitet." Die gleiche Informationslücke gilt auch Indiens Produktion von Plutonium, seit den kritisierten nuklearen Tests von 1999. "Wir wissen aber, dass beide Seiten daran arbeiten, ihre Arsenale kontinuierlich zu vergrößern." SIPRIs größte Bedenken gelten einer kleinen, begrenzten Invasion Indiens, um die Terroristen-Infrastruktur Kaschmirs zu zerstören. Pakistan hat damit gedroht, auf eine derartige Invasion mit bewaffneten Kräften zu reagieren. "Wir wissen, dass Indiens Luftwaffe als erstes Ziel versuchen wird, Pakistans atomare Schlagkraft auszuschalten, dies anfangs ohne Atomwaffen." Pakistans Führung werde dann "enorm unter Druck stehen", ihre Atomwaffen zu schützen und eventuell sogar einzusetzen, um sie nicht zu verlieren.(APA)