Frankreich
Chirac steigt in die Wahlkampf-Arena
Trotz Wiederwahl mit massiver Unterstützung der Linken will Frankreichs Präsident nicht Schiedsrichter, sondern Mehrheitsführer sein
Paris - Der mit mehr als achtzig Prozent der Stimmen
wiedergewählte französische Staatspräsident Jacques Chirac hat seine
Landsleute "feierlich" darum gebeten, den ihm verbundenen
bürgerlichen Parteien bei den Parlamentswahlen im Juni eine deutliche
Mehrheit zu geben. Diese Mehrheit müsse "klar und kohärent sein,
damit ich die Politik gestalten kann, die Frankreich braucht",
erklärte Chirac am Donnerstag in Chateauroux. Er machte damit
deutlich, dass er trotz massiver Unterstützung durch die Linke in der
Präsidenten-Stichwahl gegen den Chef der rechtsextremen "Nationalen
Front" (FN), Jean-Marie Le Pen, nicht daran denke, sein Amt als über
den Parteien stehender Schiedsrichter auszuüben. Führende Politiker der Linken hatten zuvor erklärt, dass Chirac
die Führung der Regierungsgeschäfte in jedem Fall dem künftigen
Premier überlassen müsse, da er selbst nicht wegen eines Programms,
sondern ausschließlich zur Abwehr der rechtsextremen Gefahr
wiedergewählt worden sei. Auch bei einem Sieg der bürgerlichen
Parteien werde der Staatschef nicht legitimiert sein, als zentraler
Machtträger zu agieren. Dies würde eine Parlamentarisierung des
politischen Systems bedeuten.
Der Neogaullist hat an die Franzosen appelliert, ihm eine neue
"Kohabitation" mit der Linken wie in den vergangenen fünf Jahren zu
ersparen. Nach den drei jüngsten Umfragen der
Meinungsforschungsinstitute BVA, SOFRES und IFOP werden die
bürgerlichen Parteien die Wahlen zur Nationalversammlung gewinnen.
Die neue Präsidentenpartei UMP ("Union pour la majorite
presidentielle") umfasst nicht alle Teile des bürgerlichen Lagers.
Die Zentrumsdemokraten der UDF unter Ex-Erziehungsminister Francois
Bayrou haben die Fusion abgelehnt. Der sozialistische Parteichef
Francois Hollande hat dem neuen Premier Jean-Pierre Raffarin von den
zur UMP gehörenden Liberaldemokraten vorgeworfen, die Wähler
irrezuführen. Die bürgerliche Übergangsregierung würde "der
Sicherheits-Demagogie und den Wählern der Nationalen Front"
schmeicheln.
Einige Linke fordern für den Fall eines Wahlsieges schon jetzt den
Rücktritt Chiracs. Zuverlässige Prognosen zum Ausgang der
Parlamentswahl sind derzeit kaum möglich. Die Rechtsbürgerlichen
fürchten in vielen Wahlkreisen im zweiten Durchgang einen Dreikampf
zwischen ihrem Kandidaten, einem rechtsextremen und einem linken
Politiker. Die Anwärter der Le-Pen-Partei drohen ihnen Stimmen
abzunehmen und somit dem linken Konkurrenten den Einzug in die
Nationalversammlung zu ermöglichen. Schon bei der Parlamentswahl 1997
verhalfen die Rechtsextremen auf diese Weise ungewollt den Linken zum
Sieg. (APA/dpa)