Marie Hermanson, Die Schmetterlingsfrau. Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. EURO 20,50/242 Seiten. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002.

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Susanne Knecht, Eliza Fraser. EURO 23,20/162 Seiten. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002.

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Ich bin nach Borneo gefahren, weil Roger Schluß gemacht hat." Anna ist sechsunddreißig, eine begabte Zeichnerin und Illustratorin, und Rogers Abgang ist für sie nicht die große Katastrophe. Nach ihrer Rückkehr nach Schweden entsteht am Oberschenkel eine große schmerzhafte Schwellung. Der ziemlich bizarre Tropenmediziner, dem Anna in die Hände fällt, erklärt ihr, dass sie von einem im Aussterben begriffenen Schmetterling als Wirt ausersehen worden ist. In Ihrem Oberschenkel haben die Puppen des Schmetterlings Quartier genommen und werden, wenn die Umgebung klimatisch günstig erscheint, schlüpfen. Der Arzt überredet Anna, bis es so weit ist, in seinem Glashaus zu wohnen. Anna, die bewusst kinderlos geblieben ist, findet die etwas sentimentale Idee, als Brutstätte für aussterbende Schmetterlinge zu fungieren, gar nicht so abwegig. Aber dann laufen die Dinge aus dem Ruder. Hermanson ist wieder einmal eine surreale, durchaus überraschende und poetische Geschichte gelungen, mit starker Symbolik und kunstvoller Verschränkung von Kindheit und Gegenwart. Im Jahre 1836 geht ein Schiff vor der Küste Australiens unter. Die englische Kapitänsfrau, die sechs Wochen bei den "wilden" Aborigines überlebte, wurde mit dieser wüsten Abenteuergeschichte berühmt. Nach der Rettung der Eliza Fraser, einer Dame von eher zweifelhaftem Charakter, durch einen ehemaligen Sträfling schlachteten die zeitgenössischen Medien die wunderbare Schauergeschichte aus. Diese "bewies", dass die dunkelhäutigen, kannibalischen Ureinwohner Australiens bar jeder Zivilisiertheit und von Natur aus böse waren. Die "Wilden" brachten die überlebenden Leidensgenossen Eliza Frasers um und misshandelten die arme Frau, die ihre Leiden weidlich ausschmückte, um Mitleid und finanzielle Unterstützung zu schinden. Frasers Geschichten spielten fortan eine ungeahnt wichtige Rolle für die Rechtfertigung der Kolonisatoren, die nicht einmal davor zurückschreckten, Aborigines zu vergiften oder einfach zu erschießen. Susanne Knecht geht den verwehten Spuren der PR-begabten Kapitänsfrau nach, die sich im Ungewissen der Geschichte verlieren (nur der Name Fraser Island erinnert noch heute an die Episode). Das Buch ist Biografie und verhängnisvolle Rezeptionsgeschichte in einem; es enthält aber auch interessante und bewegende Zeugnisse zeitgenössischer Aborigines, die endlich eine entschiedene Änderung der einseitigen Perspektive weißer Geschichtsschreibung fordern. Vater, Mutter und drei Kinder auf dem Weg in die Sommerferien: Man fährt wie immer ins Lieblingshotel an die irische Küste. Alison malt sich den vorhersehbaren Ablauf aus und wird dann grausam enttäuscht. Ihr Mann muss wegen dringender geschäftlicher Angelegenheiten seinen Urlaub abbrechen. Sie bleibt zurück, mit drei anstrengenden kleinen Kindern. Wieder einmal muss sie ihre persönlichen Bedürfnisse hintanstellen, das Krisenmanagement muss funktionieren, Alison ist wütend. Was liegt da näher, als ein bisschen mit dem Feuer zu spielen. Und das Objekt der Begierde taucht sozusagen wie von selbst auf. Ausgerechnet der alte Freund Christian aus den wilden Jugendtagen macht im selben Hotel Urlaub. Für ihn ist es allerdings ein Abschied. Er hat seine Familie bei einem Autounfall verloren und scheint entschlossen, an dem Ort, an dem er mit Frau und Kindern glücklich gewesen ist, Selbstmord zu begehen. In Alison werden alte Erinnerungen wach, sie lässt sich emotionell auf den Unglücklichen ein und es beginnt eine subtiler Widerstreit zwischen Pflicht, Rachsucht, Leidenschaft und schlechtem Gewissen. Der irische Autor entwickelt hier ein stilles, feines Stück über begrabene Träume und vertane Chancen, ohne seine Figuren zu denunzieren: Im Gegenteil, sie erweisen sich in ihrer Unvollkommenheit als heimliche Helden, die trotz aller Katastrophen beherzt tun, was getan werden muss. (Von Ingeborg Sperl - Album, 1.06.2002)