Neigen Kärntner zum Opfertypus? Vom Bärentaler Achilles weiß die Viktimologie: Seit er sich selber zum Kärntner ernannt hat, hängen die Verfolger an seinen Fersen. Im Inland waren es die Ausgrenzer und die Feinde der ordentlichen Beschäftigungspolitik, im Ausland korrupte Staatschefs und dubiose Bewohner der amerikanischen Ostküste, um einige Beispiele für viele zu nennen. Hätte er nicht den einen oder anderen Blutsbruder im Irak, er müsste an der Welt verzweifeln.

In diesem Tagen hat es wieder zwei erwischt, diesmal handelt es sich um Aborigines des österreichischen Südens, die schwere Verfolgung leiden, und das ohne Garantie, sich damit wenigstens zeitlich begrenzte Seligkeit zu erwerben. Was sie auszeichnet, ist jene Mischung aus Selbstherrlichkeit und Wehleidigkeit, die auch der Melancholie des Kärntner Volksliedes ihr spezielles Flair verleiht.

Sie verstehen eine Welt nicht mehr, in der folkloristische Leistungen wie Autofahren mit zwei Promille oder Beteiligung an Postenschacherei zum eigenen Vorteil nicht einmal mehr dazu ausreichen sollen, sich den ungebrochenen Beifall ihrer jeweiligen Gesinnungsgemeinschaften zu verdienen.

Nicht, dass sie ganz allein dastünden. Noch immer gibt es in beiden Parteien starke Gruppen, die es für ein Qualitätsmerkmal des zeitgenössischen Politikers halten, "kein fader Zipf" zu sein, wobei sich im Falle des zweifachen Promillionärs vor allem Kollegen, die das Ausgedinge vor Augen haben oder schon in demselben weilen, die Chance nicht entgehen lassen wollen, ihren Esprit so originell, wie es ihnen gegeben ist, von der Charismalosigkeit ihres Parteivorsitzenden abzuheben.

Interessanterweise hielten gleich drei ehemalige Innenminister ihre schützenden Hände nicht - wie der naive Betrachter vielleicht annehmen würde - im Sinne der Verkehrssicherheit über mögliche Opfer besoffener Autofahrer, sondern über deren politisches Vorbild. "Es war nicht gescheit, den Toni Leikam zum Rücktritt zu nötigen", hauchten sie in die Eiseskälte einer Partei, die es offenbar für ihre wichtigste Aufgabe hält, die nächsten Wahlen schon jetzt zu verlieren.

Aber was hilft 's, gegen den wandelnden Eiskasten kommen die lustigen Zipfe diesmal nicht an. Im Falle des unglücklichen Postenbewerbers ist das noch nicht entschieden. Er ist gegenwärtig das Opfer der Auffassung, eine Partei könne nicht jahrelang Postenschacher bei anderen anprangern, aber wenn sie ihn dann erwartungsgemäß selber betreibt, gleich zu Wucherpreisen. Ob er ein Opfer bleibt, ist schwer zu sagen, weil nicht festzustellen ist, was in einer Partei, die Anständigkeit prinzipiell für eine Bringschuld anderer hält, das Wort "Handschlagqualität" bedeutet.

Die Vorsitzende dieser Partei ist zwar der Auffassung, es dürfe jemand bei der Postenvergabe nicht übergangen werden, nur weil er Opfer einer vorherigen Sicherheitsabsprache wurde und Kärntner ist, aber wenn er den wohl verdienten Posten einmal hat, müsse er das Nationalratsmandat opfern. "Es war vereinbart, dass er sein Mandat zurückgibt. Mit mir, dem Klubobmann und auch mit den Kärntnern."

Die Kärntner, ihrer natürlichen Opferrolle schmerzlich eingedenk, wollen davon nichts mehr wissen. Der Klubobmann, der es noch vor ein paar Tagen gewusst hat, leidet plötzlich mit dem Opfer und weiß auch nichts. Und das Opfer selber beteuert: "Ich habe das nie versprochen." Im Gegenteil: "Aus heutiger Sicht denke ich sicher nicht daran, mein Mandat zurückzulegen."

Das ist verständlich, wenn sich die Vorsitzende wie ein wandelnder Eiskasten aufführt. Es wird wirklich Zeit, dass die Kärntner ihre Opferrolle abstreifen. (DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.6.2002)