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Prag - Der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel hat die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der ehemaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg und das Prinzip der Kollektivschuld kritisiert. "Ich denke nicht, dass ethnische Gruppen als solche schuldig sind oder Verdienste haben", sagte Havel in einem Interview mit der tschechischen Tageszeitung "Pravo". Er trete für individuelle Verantwortung ein. "Ich finde es nicht gut, wenn gesagt wird, dass die Deutschen für Hitler, die Sudetendeutschen für München und die Tschechen für den Kommunismus verantwortlich sind. Dies sind meiner Meinung nach gefährliche Generalisierungen, sagte Havel in Bezug auf das Münchner Abkommen vom September 1938, auf Grund dessen die Tschechoslowakei die Sudetengebiete an Deutschland abtreten musste. Zu dem Einwand, dass die überwiegende Mehrheit der Sudetendeutschen vor dem Krieg die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein gewählt hatten, erklärte Havel, dass auch "99 Prozent der Tschechen (vor 1989) für die Kandidaten der Nationalen Front (Block-Parteien und Organisationen in der kommunistischen Ära, Anm.) stimmten. "Und trotzdem haben für dieses Regime nicht geschwärmt". "Historische Notwendigkeit" Ob die "Abschiebung" der Sudetendeutschen nicht "eine historische Notwendigkeit" gewesen sei, meinte Havel, "eine Verschiebung der Völker" sei "für jegliches Problem" eine "schlechte" Lösung. "Hat sich nicht gezeigt, dass die Vorstellung, dass wir das Problem so für immer lösen, naiv war? Kehrt das Thema nicht mit jeder Generation erneut hzu uns zurück? Wie oft aben wir gedacht, dass es schon vergessen ist, und plötzlich tauchte es erneut in voller Stärke wieder vor uns auf", fragte der Präsident. Dass sich die Sudetendeutschen - falls sie nicht ausgesiedelt worden wären - wie die Slowaken nach 1989 von Tschechien getrennt hätten, glaubt Havel nicht. "Ich weiß wirklich nicht, was gewesen wäre, wenn... Aber es scheint mir wenig wahrscheinlich", meinte er. Die Slowakei sei völlig geographisch durchsichtig von Tschechien trennbar gewesen, während in den tschechisch-deutschen Grenzgebieten das deutsche und tschechische Element "deutlich durchwachsen" war und nach Jahrzehnten noch durchwachsener gewesen wäre. "Nicht einmal die Befürchtung einer künftigen Abtrennung ist meiner Meinung nach ein triftiger Grund für eine Verschiebung der Völker. Es scheint mir, dass es historisch noch gefährlicher ist", so Havel. "Nicht aus dem Kontext reißen" Er wolle die "Abschiebung" der Sudetendeutschen nicht aus dem Zeit-Kontext ausreißen. Die Situation sei damals dafür "reif" geworden. Es sei nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auch in vielen anderen Ländern passiert. "Auch wenn es bei uns aus verschiedenen Gründen vielleicht schlimmer als anderswo war". Es sei klar, dass man die Vergangenheit nicht mit den heutigen Maßstäben messen könne. "Das alles respektiere ich, trotzdem denke ich jedoch, dass die Lösung nicht gut war und dass sie sich an uns in einiger Hinsichten gerächt hat. Beispielsweise durch die Zerstörung der gesamten Grenzgebiete, wo es blühende Güter, Farmen und kleine Fabriken gab", betonte Havel. (APA)