Laxenburg/Wien - Unter den Feldern und wilden Wiesen am südlichen Rand von Wien liegen die knöchernen Überreste früherer Epochen dicht an dicht. "Dort drüben, gleich hinter unserer Ausgrabungsstätte, haben wir ein weiteres Gräberfeld entdeckt - eine Überraschung", weist Grabungsleiter Franz Sauer mit dem Arm in westliche Richtung. Während in seiner Nähe, zwischen aufgebaggerten Erdhaufen und offenen, 1300 Jahre alten Grabstellen, seine Archäologenkollegen ihrem staubigen Job nachgehen.

Grafik: Der STANDARD

"Wahrscheinlich urzeitlich", also aus Perioden vor Christi Geburt, sei die erst kürzlich auf Luftbildaufnahmen entdeckte "Ansammlung von bis zu 150 Bestattungen". Nur 300 Meter weit weg und zeitlich dennoch tausend Jahre oder mehr vom "Awarenfriedhof" aus dem 7. bis 9. Jahrhundert entfernt, der vom Bundesdenkmalamt derzeit am Rande der Laxenburger Straße ausgegraben wird - in Vorbereitung der Errichtung einer Wiener Südrandverbindung (B301). Das (noch) anonyme Gräberfeld - Sauer: "In zwei Monaten wissen wir, wer da liegt" - ist eine weitere von rund drei Dutzend Fundstellen, die im Vorfeld von Straßen-, Bahntrassen- und Gaspipelinebauten in Österreich seit den frühen 80er-Jahren ergraben und wissenschaftlich ausgewertet worden sind (siehe Grafik). Auf Kosten der Errichterfirmen, wie es das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz vorsieht.
Kosten: ein Promille
Durchschnittlich ein Promille der Projektgesamtkosten kommt den Archäologen zu - im Fall der B301, wie Sauer vorrechnet, "etwa zwischen 1,45 und 1,81 Millionen Euro". Dem Boden entrissen wurden bisher unter anderem - dort, wo jetzt die Umfahrung Leobendorf/Korneuburg entlangführt - neolithische Sied- lungen von 4900 bis 3500 v. Chr. - die zeitaltermäßig älteste Fundstelle. Bei all dem handle es sich um "Notgrabungen", betont Sauer. Für "ein archäologisches Erbe, das im Grunde am besten weiter unterm Erdboden aufgehoben wäre", wie Bodendenkmalexpertin Marianne Pollack vom Bundesdenkmalamt erläutert. Eine Ansicht "der Denkmalpflegerin" in ihr. Während sich "die Wissenschafterin über neue, von den Funden ausgehende Erkenntnisse für Anthropologen, Soziologen und Medizinhistoriker" freut. In dieser Hinsicht nämlich seien die Grabungen eine Chance, der man Erkenntnisse über die "starke soziale, räumliche und ethnische Mobilität" der frühen Ostraumbewohner verdanke. So entdeckte man in den Laxenburger Gräbern der Awaren - turkvölkischen Reiternomaden - Überreste slawischer Trachten. Durch die "Bauprojektgrabungen" verfüge man heute über "international beachtetes" Wissen, meint Johannes Neugebauer vom Bundesdenkmalamt, der in den 80er-Jahren die österreichweit ersten großflächigen "Straßenbauausgrabungen" geleitet hat. Im Traisental, unter der heutigen Kremser Schnellstraße S33. (Irene Brickner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9. 6. 2002)