Wien - "Listen! We have come from far away", singt der Chor. Nach 19 Tagen verzweifelten Harrens und Wartens haben die Einwanderer, die er verkörpert, endlich das Gefühl, es gehe voran. Zur Halbzeit von Tall Stories stehen sie auf der ersten Sprosse einer Leiter und entzünden, jeder für sich, ein Hoffnungslicht. Zum Schluss sind sie, Jacob Herschfeld, jetzt John Field, und all die anderen realiter angekommen: Es reicht zum Leben, die Kleider sehen besser aus, es gibt sogar eine - traditionelle - Hochzeit. Assimilation oder doch am Alten festhalten? Richard Chew und Orlando Gough (Komposition und Text) greifen mit ihrem grad im April in London uraufgeführten Stück, in dem es um die Träume und Hoffnungen geht, mit denen Anfang des 20. Jahrhunderts Menschen, von Not getrieben, von Europa nach New York aufbrachen, ein wieder hoch aktuelles Thema auf.

Sie versetzen die A-cappella-Songs, Balladen, Spirituals und Ensembles mit Broadway-Schmiss, Jazzidiomen und zwölftönig arrangierten Traditionals, bezwingend in Präsenz und Vitalität. Nicht zuletzt durch das Chorensemble The Shout: Etwa Kayte Harding-Chestney, Adey Grummet, Angela Elliot, Greg Wain, Mike Henry, Adam Goodman und vor allem Jeremy Birchall mit seinem Schmetter-Bass: jeder ein authentischer und lebendiger Charakter. Und gemeinsam sind sie ein riesiges klingendes Universum.

In und gegen die Dunkelheit singen sie, die es mit zusammengebissenen Zähnen in die Neue Welt schafften, alle ihr eigenes Lied. Eine jiddische Klage, ein rumänisches Volkslied, eine italienische Ballade. Indem Regisseur Rufus Norris sie doppelchörig aufstellt und frontal singen lässt, wobei sich immer deutlicher ein gemeinsamer Choral entwickelt, wird daran erinnert: Dass unsere heutigen christlichen Antiphonen und sogar das wetteifernde Konzertieren auf die jüdische Psalmodie zurückgehen. Zum Wetteifern sind die Immigranten recht bald gezwungen.

Taktwechsel - plötzlich schwebt tatsächlich die Verwirklichung des amerikanischen Way of Life, Fay Wray, herein, die das Leben als ein gewaltiges Abenteuer bezeichnet. Wenn man so will, ein Happyend. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2002)