Voll entbrannt ist seit einigen Tagen der Nervenkrieg um die Erweiterung der EU ab 2004. Ausgelöst wurde er durch den Zwischenbericht, den Erweiterungskommissar Günter Verheugen auftragsgemäß den Staats- und Regierungschefs für ihren Gipfel übernächste Woche in Sevilla bereitgestellt hat. Der Bericht wird seit einigen Tagen in der EU-Hauptstadt Brüssel und in den Unionsländern heftig diskutiert, wobei die Wertung je nach Standpunkt ausfällt. Befürworter der Erweiterung interpretieren ihn eher positiv; die Gegner und hier naturgemäß jene Parteien, die mithilfe von EU-Ressentiments gerade Wahlkampf führen oder sich auf diesen vorbereiten, eher negativ. Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte.Klar ist, dass die Erweiterung kein Spaziergang ist. Wer dies den Bevölkerungen in den "alten" und den kommenden "neuen" Unionsländern vorgaukelt, handelt politisch unredlich. In den alten Ländern ist klar zu sagen, dass die Erweiterung Geld kostet. Aber man kann deutlich hinzufügen, dass die Investition als Friedensdividende in Europa zu betrachten ist. In den neuen Ländern wird das Bewusstsein wachsen müssen, dass die Erweiterung noch nicht "gelaufen" ist. Die Liste der Mängel ist lang, und es kann Jahre dauern, diese völlig zu beseitigen. Daher ist die Idee, das verstärkte Monitoring in sensiblen Bereichen über 2004 zu verlängern, vernünftig. Das schafft auch nicht Länder zweiter Klasse in der Union, da die "verstärkte Beobachtung" keine "Sondersanktionen" auslöst. Die neuen Unionsländer werden rechtlich wie die alten behandelt. Beim Monitoring geht es vielmehr darum, Probleme gemeinsam früher zu erkennen und so besser lösen zu können. Das verlängerte Monitoring ist somit der politisch geringste Preis, den die Kandidatenländer zahlen, um die Erweiterung 2004 zu bekommen. (DER STANDARD, Print, 20.6.2002)