Die Außenminister der Kommission werden heute, Montag, bei ihrer Sitzung in Luxemburg den Fortschrittsbericht über den Stand der Beitrittsverhandlungen, den die EU-Kommission vor wenigen Tagen angenommen hat, diskutieren. Es handelt sich dabei um eine ungeschminkte Bestandsaufnahme über die Beitrittsfitness der Kandidatenländer. Aufgelistet sind darin sowohl die Fortschritte als auch die Mängel jedes einzelnen Landes beim Integrationsprozess. DER STANDARD konnte in den Detailbericht Einsicht nehmen. Demnach ergibt sich derzeit folgendes "Mangelszenario" in den einzelnen Ländern: Demokratiepolitik: Probleme mit ihren Minderheiten haben derzeit Tschechien, die Slowakei und Ungarn. In diesen Ländern geht es in erster Linie um die Diskriminierung der Roma. In Estland und Lettland gibt es Probleme bei der Gleichbehandlung des russischen Bevölkerungsanteils, der in beiden Ländern relativ hoch ist. Außengrenzkontrolle: Polen und Ungarn haben Probleme bei Kontrolle der Grenze zur Ukraine; Ungarn zum Teil auch mit jener zu Rumänien, und Slowenien gegenüber Kroatien. Zwischen Tschechien und der Slowakei muss kurzfristig eine funktionierende Binnengrenze aufgebaut werden. Administrative Mängel: Hinter dem harmlos klingenden Begriff steht eines der ganz großen Probleme, nämlich die Agrarpolitik. Es tobt ein heftiger Streit um das Modell der Direktzahlungen, das vor allem wegen Polen Sorgen macht. Im dem Land mit rund 40 Millionen Einwohnern leben zwanzig Prozent von der Landwirtschaft (EU-15 zwei Prozent). Direktzahlungen sind deshalb teuer und könnten zudem eine "negative Landflucht" bewirken. Fraglich ist, ob Polen das komplexe System überhaupt administrieren kann, daher das Angebot, eines "vereinfachten Systems" , das nicht auf Produktionsförderung abstellt. Weil das Thema so heikel ist, wurde es auf den Schluss der Beitrittsverhandlungen verschoben. Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Estland haben Probleme bei der Verwaltung der Gelder für die Regionalförderung. Nukleare Sicherheit: Geschlossen werden müssen die AKW Ignalina, Kosloduj und Bohunice. Strittig ist die Höhe der Schließungskosten. Wettbewerb: Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn haben eine Stahlindustrie mit hohen Staatsbeihilfen. Die Beitrittsländer argumentieren, dass man ohne die Hilfen ein enormes soziales Problem bekäme und außerdem werde von ihnen hauptsächlich nach Russland exportiert. Nicht EU-konform sind auch einige Großinvestitionen in Tschechien (Stichwort Ansieldungshilfen für VW) und der Slowakei. Transportinfrastruktur: Probleme haben praktisch alle größeren Beitrittsländer, da ihre Straßen nur für eine Achsenlast von zehnTonnen und nicht, wie nach EU-Standard nötig, für eine Achsenlast von 11,5 Tonnen gebaut wurden. Steuer: Probleme gibt es dabei vor allem in Estland und auf Malta. Estland hat für multinationale Konzernen de facto Steuerfreiheit. Malta wiederum hat in zu vielen Bereichen (z.B. Pharmazeutika, Papier, etliche Nahrunsgmittel) Ausnahmen von der Mehrwertsteuer. Falls die Ausnahmen bleiben, würde dadurch das EU-Ziel der Steuerharmonisierung gefährdet. Die Ergebnisse des Zwischenberichts der Kommission haben nun dazu gefährt, dass man in der Union das verstärkte Monitoring der Kandidatenländer, das seit Jänner eingesetzt ist, mit noch mehr Nachdruck verfolgt. Auf Initiative Frankreichs dürften die Außenminister heute bei ihrer Tagung in Luxemburg diese Absicht auch politisch deutlich unterstreichen. Andiskutiert wird außerdem, das Monitoring in sensiblen Bereichen über das Beitrittsdatum 2004 hinaus weiterzuführen. (DER STANDARD, Print, 10.6.2002)