Wien (APA) - Harsche Kritik an der gestern Montag von Finanzminister Karl-Heinz Grasser (F) und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl angekündigten doppelten Steuerbegünstigung für Abfertigungsrückstellungen übte heute der Verfassungsexperte Univ.Prof. Werner Doralt. Er bezeichnet die Aktion als klar verfassungswidrig, da damit die steuerliche Gewinnermittlung auf den Kopf gestellt werde. Die Abfertigung neu soll morgen Mittwoch im Parlament beschlossen werden. Die neue Abfertigungsregelung soll mit einer doppelten Steuerbegünstigung ausgestattet werden. Unternehmer, die bereits bilanzielle Abfertigungsrückstellungen gebildet haben, können die Rückstellung steuerfrei auflösen und daneben die Zahlungen an die Versorgungskassa ein zweites Mal als Betriebsausgabe steuerlich geltend machen. Steuermindernd war aber bereits die Bildung der Rückstellung. Wird eine Rückstellung aufgelöst und nicht ihrem bestimmenden Zweck zugeführt, muss sie im Jahr der Auflösung dem (zu versteuernden) Gewinn zugeschlagen werden. Diese Bestimmung des Steuerrechts wird mit der gestern angekündigten Sonderregelung aufgehoben, was laut Doralt eine Doppelbegünstigung darstellt. "Aktion stellt die steuerliche Gewinnermittlung auf den Kopf" "Die Aktion stellt die steuerliche Gewinnermittlung auf den Kopf", argumentiert nun Doralt. Nach dem Zufallsprinzip würden Unternehmen begünstigt, die Abfertigungsrückstellungen gebildet haben und schon daraus in der Vergangenheit hohe Steuerstundungseffekt erzielt haben. Der Steuerausfall wäre laut Doralt mit rund 3 Mrd. Euro zu beziffern. Begünstigt seien davon in erster Linie Großunternehmen mit hohen Abfertigungsverpflichtungen, benachteiligt dagegen Klein- und Mittelbetriebe, die keine oder nur geringe Abfertigungsrückstellungen gebildet haben und damit auch in der Vergangenheit keine Steuerstundungseffekte erzielen konnten. Keine Stärkung des Eigenkapitals Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) stehe dem Gesetzgeber frei, ob er Rückstellungen zulasse oder nicht, so Doralt. Es stehe dem Gesetzgeber aber dann nicht mehr frei, die Auflösung von Rückstellungen steuerfrei zu stellen und den Unternehmer damit doppelt zu begünstigen, indem er die Zahlung ein zweites Mal steuerwirksam absetzen kann. Noch größere Bedenken bestehen laut Doralt aus steuerpolitischen Gründen. Denn entgegen der politischen Behauptung führe die Aktion zu keiner Stärkung des Eigenkapitals. Denn der Unternehmer könne die steuerfrei aufgelösten Rückstellungen auch für private Zwecke entnehmen. Damit fehle der Maßnahme jeder sinnvolle wirtschaftspolitische Lenkungseffekt. "Gruppe von Steuerpflichtigen privilegiert" Bei einem Verzicht auf 3 Mrd. Euro (41 Mrd. S) Steueraufkommen müssten andere Alternativen geprüft werden, mit denen bessere wirtschaftspolitische Effekte erzielt werden könnten. Von der steuerfreien Auflösung von Rückstellungen gingen nicht die geringsten Investitionsimpulse aus, gefördert würden wieder nur Großbetriebe und deren Mitarbeiter mit den angeschlossenen Versorgungskassen. "Auf Kosten der Allgemeinheit wird damit letztendlich eine kleine Gruppe von Steuerpflichtigen privilegiert", so der Verfassungsrechtler.