Paris/Wien - "Er erinnert mich an Pompidou", seufzte am Wahlabend mit verklärtem Blick eine reife Gaullistin in die Fernsehkameras, meinte den aktuellen französischen Regierungschef Jean-Pierre Raffarin und dachte an Georges Pompidou - eine Polit-Ikone aus dem Frankreich der 60er-Jahre: fügsamer Premier des Staatschefs Charles de Gaulle 1962-1969 und dessen Nachfolger im Elysée-Palast bis 1974, ohne Idee und Programm, aber von einnehmendem Wesen.Äußerlich ähneln sich Raffarin und Pompidou tatsächlich: nach vorn gebeugt der Gang, rund und breit der Rücken, wie es sich für einen Politiker gehört, der sich freundlich, aber bestimmt durch die Gänge der Macht schiebt, ein mächtiger Kopf, der den bodenständigen Franzosen weitab von Paris charakterisieren soll. Pompidou stammte aus der Auvergne, Raffarin kommt aus dem Poitou. Mit luftigen Sprachformeln jongliert Chiracs Premier ("ein republikanischer Anteil des staatlichen Engagements ...") heute ebenso leicht wie einst Pompidou. Der hatte nur einen schlichten Wunsch, als er 1969 zum Präsidenten gewählt wurde: "Ich möchte, dass während der Zeit, in der ich an der Spitze des Landes stehe, Frankreich und die Franzosen das Gefühl haben, glücklich zu sein. Ob mein Name damit verbunden ist oder nicht, hat nicht viel Bedeutung." Heute lässt die Erinnerung an Pompidou drei Viertel der Franzosen mit wohligem Gefühl zurück. Es waren die letzten Jahre der "trente glorieuses", des dreißig Jahre währenden Aufschwungs, den erst die Ölkrise 1973 stoppte. (mab/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. Juni 2002)