Graz - Seit der von ihr wesentlich mitverfassten Studie über "Die Arbeitslosen von Marienthal" weiß mensch: Arbeitslosigkeit macht die Menschen nicht rebellisch, sondern apathisch. Der aus Wien gebürtigen und 1937 aus Österreich vertriebenen Sozialwissenschafterin Marie Jahoda ist eine Dokumentations-Ausstellung anlässlich ihres ersten Todestages (28. April 2001), an der Universität Graz gewidmet. Im dort etablierten Archiv für Geschichte der Soziologie in Österreich befindet sich Jahodas Nachlass. Die Ausstellung ist bis zum 2. August zu sehen. Anfang der 30er Jahre war die damals 26-jährige gebürtige Wienerin an jener Studie beteiligt, die seither mit ihrem Namen untrennbar verbunden ist: "Die Arbeitslosen von Marienthal". Als Studienobjekt diente eine Gemeinde in der Nähe von Wien, in welcher nach der Schließung der Textilfabrik nahezu die ganze Bevölkerung arbeitslos wurde. Die Frage, wie sich dieser Umstand auf den Alltag der Betroffenen auswirkte, stand im Mittelpunkt dieser bis heute legendären Studie. Jahoda hat sie gemeinsam mit dem Psychologen und ihrem späteren Mann Paul Lazarsfeld sowie Hans Zeisel verfasst. Leiterin der ersten außeruniversitären Einrichtung für Sozialforschung "In Österreich ist Jahoda zu Unrecht nur wegen dieses Buches bekannt", so der Grazer Soziologe und langjährige Jahoda-Kenner Christian Fleck. So leitete die Forscherin auch die erste außeruniversitäre Einrichtung für Sozialforschung überhaupt, die Wirtschaftspsychologische Forschungsanstalt in Wien. Als bekennende Sozialistin wurde sie allerdings 1936 inhaftiert und das damals von ihr geleitete Institut gesperrt. Acht Monate später konnte die Mutter einer kleinen Tochter nach Intervention englischer Sozialforscher nach Großbritannien ausreisen, von wo sie von offizieller österreichischer Seite nie mehr zurückgerufen wurde. Nicht zuletzt daher nahm sie letztlich auch die britische Staatsbürgerschaft an. Erst in den späten 90er Jahren wurde Jahoda auch in Österreich geehrt. Bereits seit 1982 steht der Grazer Soziologe und Leiter des Grazer Archivs für Geschichte der Soziologie in Österreich, Christian Fleck, in Kontakt mit Jahoda. Daraus resultierte auch ihre enge Verbundenheit mit dem Archiv, dem sie auch als wissenschaftlichen Beirätin angehörte. "Die Ausstellung soll nicht bloß über Leben und Werk Marie Jahodas informieren, sondern auch ein Zeichen dafür sein, dass das Archiv um die Wahrung wissenschaftlicher Traditionen im ihrem Sinne bemüht ist", so Fleck. Fotos, persönliche Dokumente, nicht veröffentlichte und publizierte Typoskripte sowie Druckwerke von Marie Jahoda werden in der Ausstellung ergänzt durch Materialien zu ihren Forschungsprojekten. Begleitend gibt es einen bebilderten Katalog mit zahlreichen Erstveröffentlichungen von Texten Jahodas. Auch nach dem Krieg im Exil Wie viele andere EmigrantInnen, die nach 1945 nicht nach Österreich zurückgerufen wurden, blieb auch Jahoda nach dem Krieg in ihrem Exilland. Die eigentliche universitäre Karriere begann für sie allerdings erst nach dem britischen Intermezzo ab 1937 in den USA, so Christian Fleck. 1945 ging Jahoda in die Vereinigten Staaten, begann zuerst als Forschungsassistentin von Max Horkheimer, und arbeitete schließlich ab 1949 an der New York University am Departement of Psychology. Neben der mit Nathan W. Ackerman verfassten Studie über "Antisemitism and emotional disorder", der Herausgabe von Studien zur autoritären Persönlichkeit, schrieb sie mehrere Arbeiten über die Folgen des McCarthyismus, führte diverse empirische Erhebungen durch und war Erstautorin eines der gängigsten Lehrbücher der Methoden der Sozialforschung der 1950er-Jahre, dem "Research Methods in social relation". Nach ihrer Rückkehr nach England im Jahr 1958 wurde Jahoda als erste Frau als Professorin für Sozialpsychologie an die Universität von Sussex berufen, wo sie über ihre Emeritierung hinaus aktiv blieb. 1959 nahm sie die britische Staatsbürgerschaft an. Zentrale Themen Geboren wurde Jahoda am 28. Jänner 1907 als drittes von vier Kindern einer bürgerlichen jüdischen Familie in Wien. Das Studium der Psychologie begann sie in der Überzeugung, erste Ministerin für Erziehung der damals von ihr innig erhofften sozialdemokratischen Regierung zu werden. Dazu sollte es nicht kommen, ihre wissenschaftliche Karriere hielt allerdings sieben Jahrzehnte an. Ihre zentralen Themen waren die Arbeitslosigkeit aber auch die Frage nach der Entstehung von Vorurteilen und das Phänomen der Diskriminierung. Ebenso untersuchte sie die gesellschaftliche Situation von Frauen und Einwanderern. Nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien beteiligte sie sich aber auch an der Diskussion über die Grenzen des Wirtschaftswachstums, diskutierte das Verhältnis von Sigmund Freud zur akademischen Psychologie und setzte sich mit dem Phänomen des Nationalsozialismus auseinander. Speziell mit der intensiven Beschäftigung mit den sozialpsychologischen Konsequenzen der Erwerbsarbeit - ein Thema, das sie Ende der 70er Jahre wieder verstärkt interessierte - habe Jahoda einen zumindest im deutschen Sprachraum "noch nicht hinreichend rezipierten Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Diskussion geleistet", meint Fleck. Dies würden auch die aktuellen politischen Diskurse zeigen: "Von der Diskussion um Grundeinkommen, über die Anwendung dieser Einsichten auf vorgeschlagene arbeitsdienstähnliche Quasibeschäftigung für vorgemerkte Arbeitslose bis hin zur unter Ökonomen immer noch prominenten These von der freiwilligen Arbeitslosigkeit reicht das Spektrum öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten, die Nutzen aus Jahodas Einsichten ziehen könnten", ist der Soziologe überzeugt. (APA)