Die Vorschläge für die nachhaltige Therapie der chronischen Finanzschwäche der Krankenkassen nehmen allmählich gefährliche Züge von Realitätsverweigerung an. Die Regierung versucht sich in der Verabreichung von teuren Placebos, die sie aus dem Medikamentenschrank finanziell besser gestellter Kassen nimmt und in den kasseninternen Notfallkoffer namens "Ausgleichsfonds" verschiebt. Systeminterne Umschichtungen von Rücklagen zu finanziell schwächeren Kassen sollen deren Bilanz weniger trist aussehen lassen, mit der unausweichlichen Folge, dass dann auch die letzten noch positiv bilanzierenden Kassen in die roten Zahlen rutschen. Was diese "Solidarität im geteilten Defizit" bringen soll, ist weder rational noch gesundheitspolitisch nachvollziehbar.

Geteiltes Defizit ist nicht halbes Defizit, es vergrößert vielmehr den Gesamtschaden. Die Geberkassen verlieren Zinseinnahmen, die Schuldnerkassen fretten sich in trügerischer finanzieller Sicherheit über weitere zwei Jahre und werden 2005 die geborgten Gelder nicht zurückzahlen können. Ohne Konzept, das es bis heute nicht gibt - wie auch? Geraten auch die finanziell starken Kassen in Turbulenzen, sind die Patienten schon demnächst mit drohenden neuen Selbstbehalten und Leistungskürzungen konfrontiert.

Die Vorgangsweise der Regierung verschiebt das zurzeit wichtigste Problem der Gesundheitspolitik nur - hinter den Wahltag. Dann wird unvermeidlich ausgesprochen werden müssen, was schon jetzt offenkundig ist. Für das Gesundheitssystem gibt es nur die Alternative: entweder mehr Geld, am besten durch solidarische Beitragserhöhung für alle; oder aber - unsolidarische - Leistungskürzungen und Selbstbehalte, die nur die Kranken zu spüren bekämen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2002)