"Kill your Idols!", forderten die New Yorker Sonic Youth irgendwann in den dunklen 80er-Jahren, und formulierten damit drastisch jenen Schritt, der notwendig ist, um sich den Weg zu einer eigenen Ausdrucksform und neuen Qualität freizumachen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Revolution jetzt! - auch wenn man gar keine Ahnung davon hatte, dass es eine sein würde und einfach einem Impuls, angereichert mit jugendlicher Euphorie und Veränderungswillen, folgte. Eine diffuse Erkenntnis, eher noch ein Instinkt, der dem Rock'n'Roll wesensimmanent ist und ohne den Elvis wahrscheinlich als Lastwagenfahrer in Pension gegangen wäre und Lou Reed eventuell als kauziger Portier in einem New Yorker Hotel ein Dasein fristen würde. James Osterberg hätte seine Jugend wohl in einer Spezialweste verbracht, wenn er sich nicht als Iggy Pop ausleben hätte können, während ein gewisser Johnny Lydon es möglicherweise zum königshaustreuen Manager einer Londoner Fish-and-Chips-Bude gebracht hätte.

Oasis, die gerne als eine der größten zeitgenössischen Bands gehandelt und deshalb oft in einem Atemzug mit obigen Pionieren genannt werden, haben im Vergleich dazu nichts anderes getan, als ihr ganzes Werk in den Dienst der Denkmalpflege der Fab Four aus Liverpool zu stellen. Dafür haben es die Brüder Noel und Liam Gallagher und ihre drei Gefolgsmänner erstaunlich weit gebracht. Bedenkt man, dass die Anzahl ihrer zuhause verkauften Platten in den 90er-Jahren mit dafür gesorgt hat, dass Pop auf der Insel einen nicht unwesentlichen Beitrag für das Bruttosozialprodukt leistete. Ihre Mischung aus eben beatleesken Melodien und "punk driven energy" ging den Acid-geschädigten und Ami-Rock entsagenden Briten runter wie warmer Honig. Dazu waren Oasis im Zeitalter nach Thatcher mit dem zur Schau gestellten Stolz auf ihre Working-Class-Herkunft Identifikationsfiguren für viele, und ihre Songs erwiesen sich als ebenso Pub- wie Fußballstadion-kompatibel: Das Image der neureichen Prolos, die für die Gesellschaftsrituale der Oberen nur den Stinkefinger und wortgewordenen Unrat übrig hatten, machte die Gallagher-Brüder zu Nationalhelden.

In diesem Rausch aus Kokain, Erfolg und einsetzenden Größenwahn verblasste dann auch langsam das ohnehin nur erfolgreich vermarktete Klischee vom Genie der Band aus Manchester. Ihr letztes Studio-Album Standing On The Shoulders Of Giants (2000) floppte gehörig und der medial ausgetragene Bruderzwist zwischen Noel (beleidigt) und Liam (besoffen und beleidigt) führte sogar zu einem kurzzeitigen Rückzug des musikalisch hauptverantwortlichen Noel.

Nun veröffentlichen Oasis - "wiedervereint" - ihr fünftes Studioalbum: Dieses zeigt, dass die jahrelang inszenierte Großkotzigkeit endgültig auch die Musik erfasst hat. Mit Heathen Chemistry, so der Albumtitel, platziert man sich in den Gefilden üblen Stadion-Rocks. Darüber hinaus erscheinen Oasis nicht nur als Beatles-Kopie, sondern - noch schlimmer - nur noch als Abklatsch derselben. Hatten Alben wie (What's The Story) Morning Glory? oder Be Here Now schon auch Biss, leiert sich Liam heute zahnlos durch - über weite Strecken verwechselbare - Songs. (Probably) All In The Mind, ein Instrumental, klingt überhaupt wie Abfall aus dem Proberaum von Deep Purple. Laut Noel handelt es sich jedoch - no na! - um das beste Oasis-Album überhaupt. Zu dieser Selbsteinschätzung passt ein weiter Tiefpunkt auf diesem damit nicht gerade geizenden Album: Born On A Different Cloud. Die permanente Selbstüberschätzung und das Austreten von Pfaden, die längst so tief sind, dass der Blick auf den Horizont längst unmöglich ist, zeigt sich hier in einer selten demonstrierter Ideenlosigkeit.

Man darf eben nie beginnen, an sein eigenes Image zu glauben. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2002)