Forschung & Geschlecht
Reproduktionsmedizin: "Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen in Europa"
WissenschafterInnen fordern Änderung des restriktiven Gesetzes
Wien - Der mehr oder weniger künstliche Weg zum Baby - samt
allen weltanschaulichen, religiösen und ideologischen Aspekten der
Reproduktionsmedizin: Rund 5.000 WissenschafterInnen werden am
Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin
und Embryologie (ESHRE) in Wien (30. Juni bis 3. Juli, Austria Center
Vienna) teilnehmen. In einem Gespräch mit der APA aus diesem Anlass
forderte der österreichische Organisator des Kongresses, Univ.-Prof.
Dr. Franz Fischl (Universitäts-Frauenklinik/Wien), mehr Wissenschaft
und eine Änderung des restriktiven Fortpflanzungsmedizingesetzes.Das millionste IVF-Baby
Die harten Daten: Weltweit haben bereits zwischen 35 und 70
Millionen Paare die Methoden der "unterstützten
Reproduktionstechnologien" benutzt, um doch noch zu Kindern zu
kommen. Am 25. Juli 1978 kam in Großbritannien mit Luisa Joy Brown
das erste "Retortenbaby" zur Welt. Fischl: "Für dieses Jahr wird
bereit mit dem millionsten IVF-Baby auf der Erde gerechnet. Die
Zahlen steigen. Das hat auch seinen Grund in der gesellschaftlichen
Entwicklung. Immer mehr Erstgebärende sind schon 30 und darüber. Da
ist aber der größte Teil der fruchtbarsten Phase im Leben der Frau
schon abgelaufen. Wir wissen heute zum Beispiel, dass die Eierstöcke
bereits früher zu altern beginnen."
Auch die Männer werden mit zunehmendem Alter nicht fertiler. Aus
dieser Schere entwickelt sich ein immer größerer Bedarf für jene
Techniken, mit denen sich Unfruchtbarkeit überwinden lässt.
Keine optimalen Erfolgsraten
Die Fakten aus Österreich: Im Jahr 2000 wurden über die mit Beginn
jenen Jahres etablierte Regelung, wonach ein öffentlicher Fonds unter
bestimmten Bedingungen 70 Prozent der Kosten für bis zu vier
IVF-Behandlungen übernimmt, insgesamt 3.926 IVF-Versuche
durchgeführt. Das sind etwa 70 Prozent aller IVF-Behandlungen in der
Alpenrepublik. Bei 13 Prozent kam es zum Abbruch der Behandlung. Bei
66 Prozent vom Rest wurde neben der IVF auch die künstliche Injektion
des Spermiums in die Eizelle benutzt, um zu einer Befruchtung zu
kommen. Die Schwangerschaftsrate pro Ei-Follikel-Punktion betrug 24
Prozent. Damit ist auch klar, dass die In vitro-Fertilisierung noch
längst nicht optimale Erfolgsraten aufweist.
Gefahr des "Tourismus"
Kein Wunder, dass manche WissenschafterInnen deshalb zu immer
waghalsigeren bzw. ethisch umstritteneren Techniken greifen, um zum
Erfolg zu kommen. Fischl: "Die europäische Gesellschaft versucht auch
hier für Reproduktionsmedizin, Stammzellenforschung und Techniken wie
'Klonen' Guidelines und Empfehlungen zu erstellen. Wir brauchen ein
einheitliches Vorgehen. Sonst gibt es die Gefahr des 'Tourismus'."
Der Gynäkologe ist über die Situation in Österreich nicht
unbedingt glücklich: "Österreich, Deutschland und die Schweiz sind am
restriktivsten. Da werden auch die Präimplantationsdiagnostik und die
Stammzellgewinnung abgelehnt." Zwar sei offenbar absehbar, dass man
auch adulte Stammzellen in die verschiedensten Gewebetypen des
Organismus verwandeln könne, doch für die Forschung werde man
wahrscheinlich in Zukunft auch embryonale Stammzellen benötigen, so
Fischl. (APA)