Standard: Während des EU- Gipfels beging die Eta in Spanien fünf Attentate mit zwölf Verletzten. Was steckt hinter dieser neuen Terrorwelle? Juaristi: Einige Tage vor den Anschlägen veröffentlichte die Eta ein Manifest, in dem es heißt, dass sie den "bewaffneten Kampf" fortsetzt, weil es im Europa von heute keinen Platz für kleine Völker wie das baskische gebe. Damit drückte die Eta erstmals ihre Feindschaft nicht nur gegenüber dem spanischen Staat, sondern gegen die EU insgesamt aus. Das heißt nicht, dass jetzt eine Terrorkampagne der Eta in den Staaten der EU droht, es geht ihr mehr darum, auf sich aufmerksam zu machen. Standard: Wie groß ist die soziale Basis der Eta? Juaristi: Das kann man quantifizieren. Die politische Partei, die ihre Ziele verteidigt (Batasuna, siehe Bericht unten - Red.) hatte bei den letzten Wahlen 80.000 Stimmen - das ist eine kleine Minderheit. Standard: Aber auch der Chef der "gemäßigten" baskischen Nationalisten, Xabier Arzalluz, sagte kürzlich, es sei "der Moment gekommen, sich in Richtung Unabhängigkeit" zu bewegen. Er dankte Europa, dass es Premier Aznar abgehalten habe, "wie Franco auf die Basken schießen zu lassen". Juaristi: Die Sprache von Arzalluz wird immer deliriöser, aber die Politik ist unverändert. Es ist absurd, vom ,Moment‘ für die Unabhängigkeit zu sprechen zugleich aber zu sagen, dass diese erst in drei bis vier Wahlperioden zu verwirklichen sei. Standard: In der Franco-Ära waren Sie auch in der Eta. Was führte zur Abkehr? Juaristi: Für mich und meine Freunde war damals eine starke familiäre Komponente ausschlaggebend. Wir stammten aus nationalistischen Familien, die im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hatten. Ende der Sechzigerjahre rutschte die Eta extrem nach links. Sie wurde nationalrevolutionär und militaristisch. Standard: Gibt es Umstände, die Terror verständlich erscheinen lassen? Juaristi: Terror ist aus ethischen Gründen immer abzulehnen. Im Fall der Eta war er auch keine Antwort auf eine scharfe Unterdrückung. In den Siebzigerjahren gab es in Spanien eine gewisse politische Öffnung. Verlagen wurde es möglich, Bücher in baskischer Sprache herauszugeben, Sprachschulen öffneten, und ausgerechnet in diesem Augenblick ist die Eta groß geworden. Eta ist eine Terrororganisation ohne Geschichte, die Etarras der Franco-Zeit sind heute ihre Gegner. Jene, die im Prozess von Burgos 1970 mit der Todesstrafe bedroht wurden, sind jetzt in demokratischen Parteien tätig und müssen sich, wenn sie ins Baskenland fahren, von Leibwächtern schützen lassen. Standard: In Ihrem Buch "El bucle melancólico" beschreiben sie den baskischen Nationalismus als Erfindung von Dichtern des 19. Jahrhunderts. Laut dem Forscher Ernest Gellner stehen solche Erwecker fast immer hinter nationalistischen Bewegungen. Juaristi: Unter den modernen Nationalismustheoretikern herrscht Übereinstimmung über diese erste Phase, die sich in Literatur und Musik ausdrückt. Standard: Sie sind selbst von der Eta bedroht worden. Juaristi: In Spanien habe ich Personenschutz. Voriges Jahr war - so sagte die Polizei - ein Attentat auf mich geplant. Standard: Als Direktor des Instituto Cervantes, das die spanische Kultur pflegt, gelten Sie manchen nun als spanischer Nationalist. Juaristi: Ich glaube ganz allgemein, dass der liberale Nationalstaat die einzige Form ist, in der sich das System der demokratischen Freiheiten verwirklichen lässt. Standard: Besonders in den USA hat die Bedeutung des Spanischen stark zugenommen. Ist der Multikulturalismus ein Vorbild für Europa? Juaristi: Nein. In den USA sind die verschiedenen Kulturen nicht, wie in Europa, an bestimmte Territorien gebunden. Und auch in den USA führte der Multikulturalismus zu interethnischen Zerwürfnissen. Standard: Beim EU-Gipfel stand der spanische Premier Aznar in der ersten Reihe jener, die den Zustrom von Immigranten abblocken wollen. Juaristi: In Spanien ist das Problem der illegalen Immigration ernst, es schafft in ganz Europa Sicherheitsprobleme. Ich glaube nicht, dass die Schlussfolgerungen von Sevilla skandalös waren. Alle hereinzulassen wäre selbstmörderisch, es würde zu schweren gesellschaftlichen Konflikten führen. Standard: Sie haben sich neue Feinde gemacht, als Sie kürzlich an der ersten Demonstration für Israel in Spanien teilnahmen. Laut Presseberichten habe Sie dort den palästinensischen Terror verurteilt und die Medien vor "rassistischen Kommentaren" gewarnt. Juaristi: Das ist falsch. Es handelte sich um ein Kommuniqué der jüdischen Gemeinden Spaniens - ich bin Jude. Es war eine Solidaritätsdemons- tration für die Opfer der Terroranschläge in Israel, eine Petition für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern und ein Ersuchen an die Medien, größtmögliche Unparteilichkeit zu suchen und keine antisemitische Sprache zu verwenden. Manche Medien machten daraus eine Unterstützungserklärung für die Politik Sharons, die ich nie abgegeben habe. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.6.2002)