Nahost
Pressestimmen zu Differenzen USA-EU
Europäer gegen aufgezwungenen Wechsel an der Spitze der Palästinenser
München/Frankfurt/Zürich - Die Auswirkungen der
jüngsten Nahost-Rede von US-Präsident George W. Bush auf das
amerikanisch-europäische Verhältnis ist am Donnerstag Gegenstand von
Pressekommentatoren. "Süddeutsche Zeitung":
"Bereits einen Tag nach seiner als richtungweisend angepriesenen
Nahost-Rede steckt der amerikanische Präsident in einer unangenehmen
Sandwich-Position. Die Verbündeten auf dem G-8-Treffen haben fast
unisono klargemacht, dass sie wenig von der Idee halten, den
Palästinensern eine neue Führung aufzuzwingen. (...) Seltsam mutet
indes an, wie wenig eine so vermeintlich bedeutungsschwangere
Initiative abgestimmt war mit den Nationen, deren Flankenschutz
selbst der amerikanische Präsident braucht, wenn im Nahen Osten
Bewegung entstehen soll. Was Bush nicht verstanden hat: Natürlich
würde es einem Friedensprozess helfen, wenn Arafat (und Sharon) nicht
mehr im Amt wäre. Wenn aber ein amerikanischer Präsident diesen
Zustand ausdrücklich einfordert, dann bewirkt er das Gegenteil."
"Frankfurter Rundschau":
"Nach außen bleibt die Reaktion der Europäer auf die jüngsten
US-amerikanischen Nahost-Vorschläge eisern moderat. Doch intern
machen EU-Diplomaten keinen Hehl aus ihrem Entsetzen: Bush habe sich
mit seiner Rede von der mit großer Mühe aufgebauten internationalen
Friedensstrategie verabschiedet. Vor allem irritiert die Brüsseler,
dass Bush nicht einmal eine Andeutung gemacht hat, wie er seine Ziele
verwirklichen will. Die Europäische Union steht nach der Bush-Rede
vor den Scherben ihrer Nahost-Politik. Schuld sind aber nicht
Uneinigkeit oder Unfähigkeit in der EU, sondern die überraschende
Verabschiedung der USA aus sicher geglaubter Gemeinsamkeit. Die
zwischen US-Außenminister Colin Powell, der EU, den UN und Russland
vor nicht allzu langer Zeit in Madrid verabredete Strategie eines
'Quartetts' gibt es nicht mehr."
"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):
"Die Forderung Präsident Bushs nach einer neuen palästinensischen
Führung und der Bildung demokratisch legitimierter Institutionen hat
die amerikanische Nahost-Politik vorerst zu einem Stillstand
gebracht. (...) In politischen Kreisen der Hauptstadt wird die
Verbindung der Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit dem
Ausscheiden Arafats als eine so bedeutende Verschiebung der
amerikanischen Position angesehen, dass es einige Zeit dauern werde,
bevor über die nächsten politischen Schritte entschieden werden
könne."
"El Periodico de Catalunya" (Barcelona):
"Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Bush-Vorschläge der
Routine des Hasses und des Todes in Nahost ein Ende setzen können.
Der Plan des US-Präsidenten ist auf gefährliche Weise parteiisch:
Washington fordert nicht, dass Arafat und Sharon gemeinsam abtreten,
um eine neue Ära einzuleiten. Bush bietet vielmehr an, dass die
arrogante Strategie Sharons einen bequemen Sieg davonträgt. Das
Verlangen nach einem Sturz Arafats bricht mit dem Prinzip, dass die
Völker sich ihre Führer selbst wählen können. Der Aufruf zum Sturz
des Palästinenserführers ist ein gefährliches Spiel, das den Nahen
Osten einer Friedenslösung kaum näher bringen wird." (APA/dpa)