Weltmeister gibt’s viele, Europameister noch mehr. Olympiasieger sind seltener. Doch der Glanz olympischer Erfolge strahlt viel heller. Vor allem länger und unverwechselbarer. Ein Paul Schockemöhle, der das bis heute einmalige Kunststück fertig gebracht hat, mit seinem berühmt gewordenen Hannoveraner Deister dreimal nacheinander Europameister im Springreiten zu werden, hat einmal in stiller Stunde freimütig bekannt, er würde jeden seiner großen Triumphe sofort gegen einen Olympiasieg eintauschen. Wenn das denn möglich wäre. Wohl wahr. Der Europameister von heute ist schon morgen Ex-Europameister. Olympiasieger aber bleibt man immer. Ein Leben lang.Und dann gibt es noch die die Kategorie der ganz Großen: die Sieger, die über ihre Siege von einst hinausgewachsen sind und als Persönlichkeiten dauerhafte Popularität genießen. Idole wie Max Schmeling, Fritz Walter und Uwe Seeler. Und auch die Reiter Hans Günter Winkler und Alwin Schockemöhle gehören dazu. Pferde-Mekka Mühlen Alwin Schockemöhle wird am 29. Mai 65 Jahre alt. Der älteste Sproß einer niedersächsischen Bauernfamilie, geboren in Meppen im Emsland und groß geworden in Mühlen im Oldenburger Münsterland, wo die Welt - eine seltene Enklave im Norden Deutschlands - so katholisch ist wie in Oberbayern. Der Flecken Mühlen, den es politisch eigentlich gar nicht mehr gibt und der de jure nur noch ein Teil der Gemeinde Steinfeld ist, wäre normalerweise eines von vielen Tausend unbekannten deutschen Dörfern, würden in eben diesem Flecken nicht die „Schockemöhle Brothers“ zu Hause sein. Und deshalb kennen die Springreiter der ganzen Welt diesen Weiler, deren berühmteste Bürger in den letzten vier Jahrzehnten alles, was sie angepackt haben, in gutes Geld und Gold verwandelt haben. Es mag absurd klingen, aber es ist wahr: In Kentucky, im Land des „Blauen Grases“, im Pferdeparadies Irland, im englischen Turnier-Mekka Hickstead oder in Andalusien kennt jeder Pferdemann und Züchter Mühlen, das rund 2 000 Einwohner zählt, auch wenn ihm die meisten großen deutschen Städte fremd sind. In Mühlen, das hat Alwin Schockemöhle einmal ganz schlicht und ohne Häme festgestellt, „sind mehr gute Reiter gemacht worden als in Warendorf“. C’est la vie. Seine große Stunde Am 27. Juli 1976 hat sich die Welt für Alwin Schockemöhle mit einem Donnerschlag verändert. Da stand der Mann, der zwei Jahrzehnte lang vergeblich von einem internationalen Championatstitel geträumt und elf Monate zuvor in München als Europameister erstmals triumphiert hatte, im Mittelpunkt des olympischen Geschehens. Mit 39 Jahren. Mit seinem unvergessenen braunen Wallach Warwick Rex, der damals zehn Jahre alt war und mit dem er auch Europameister geworden war. Schon damals mit einem Korsett, weil ihm seine Rückenwirbel immer wieder Probleme bereiteten. Das Verrückte war damals: Alwin Schockemöhle war erst zwei Tage zuvor fürs olympische Einzelspringen nominiert worden - der Dithmarscher Sönke Sönksen war auf wenig faire Art buchstäblich in letzter Stunde ausgebootet worden. Sein Trost: Am Schlußtag gewann er in Montreal gemeinsam mit Alwin und Paul Schockemöhle und Hans Günter Winkler olympisches Mannschaftssilber. Alwin Schockemöhle und alle, die vor nunmehr fast 26 Jahren dabei sein durften, werden die Minuten im „Reiterdorf“ Bromont vor den Toren Montreals nie vergessen. Schwere dunkle Gewitterwolken drohten am Himmel; wolkenbruchartige Regenfälle hatten die Anlage zuvor in eine Lagunenlandschaft verwandelt. Nur ein Paar behielt souverän die Nerven: Alwin Schockemöhle und Warwick Rex lieferten zwei makellose Null-Fehler-Ritte ab und waren längst Olympiasieger, als der Kanadier Michel Vaillancourt, der Belgier Francois Mathy und die glücklose britische Amazone Debbie Johnsey noch um die Medaillen stechen mußten. Hans Günter Winkler, der Zehnter wurde, und Paul Schockemöhle waren schon zuvor auf der Strecke geblieben. „Unkomplizierte Springmaschine" So sehr diese beiden längst legendenverklärten Ritte von Bromont das Leben Alwin Schockemöhle bis heute entscheidend geprägt haben, so wenig läßt Zweifel läßt er darüber aufkommen, dass er Donald Rex , mit dem er 1967 den dritten seiner insgesamt vier deutschen Meistertitel gewinnen konnte, für das beste Pferd hält, das er je geritten hat: „Der konnte einfach alles, war gut im Kopf, war sehr schnell; vor allem konnte Donald Rex alles springen .“ Alwin Schockemöhle nannte Donald Rex einmal - ohne jede Abwertung - eine „unkomplizierte Springmaschine“. Trotzdem war sein liebstes Pferd Rex the Robber. Die Begründung ist verblüffend. „Rex the Robber hat mich täglich aufs Neue herausgefordert.“ Alwin Schockemöhle nannte ihn den „Professor“, der ihm alle Tage neue schwierige Aufgaben stellte. Erfolg auf ganzer Linie Alwin Schockemöhle ist immer auf vielfältige Art erfolgreich gewesen. Als Landwirt, Kaufmann und Fabrikant, als Züchter und als Ausbilder. Viele der erfolgreichsten Springreiter wurden von ihm entdeckt oder waren seine Schüler. Der viel zu früh verstorbene Weltmeister Gerd Wiltfang, der niederländische Europameister Johan Heins, Weltmeister, Olympiasieger, Deutscher Meister und Derbysieger Franke Sloothaak, Thomas Frühmann, jahrelang Österreichs erfolgreichster Springreiter, und Doppel-Olympiasieger Ulrich Kirchhoff. Es ist nur eine kleine, aber eindrucksvolle Auswahl. Der Spruch machte jahrelang in Europa die Runde: Wer bei den Schockemöhles in die Lehre geht, landet am Ende meistens in Olympia und lernt dabei auch noch, wie man richtig Geld verdient. Passion Trabrennsport Alwin Schockemöhle, der dreimal das Deutsche Spring-Derby in Hamburg-Klein Flottbek gewinnen konnte - erstmals 1957 als 20jähriger „Himmelsstürmer“ und dann noch 1969 und 1971 - und zweimal Zweiter war, hat keine Turnierpferde mehr. Seit dem Ende seiner sportlichen Laufbahn als Springreiter, die ihm immerhin bei Olympischen Spielen auch drei Mannschaftsmedaillen eingebracht hat - je einmal Gold, Silber und Bronze - hat er sich den Trabern zugewandt, fand Freunde und gute Partner, die sich mit ihm gemeinsam engagierten. Jahrelang beherrschte er mit seinen Top-Pferden - Diamond Way wurde Europas erfolgreichster Vererber und Campo Ass gewann dreimal den Großen Preis von Europa - die Szene, doch in den letzter Zeit ist ihm der Spaß an diesem Metier etwas vergangen. Der Markt ist eingebrochen. „Das ist längst ein Zuschußgeschäft geworden, leben kann man davon schon lange nicht mehr“, klagt der Grandseigneuer des deutschen Pferdesports, der einst daheim in Mühlen als Erster eine überdachte Trainingsbahn für Traber gebaut hatte. Trotzdem stehen in seinen Stallungen noch immer rund 150 Traber. Zumeist Mutterstuten, Fohlen und Jährlinge. Ein halbes Dutzend Traber steht auch noch in seiner italienischen Dependance. „Ich habe mir schon oft geschworen, mein Engagement zurückzuschrauben, meinen Stall zu verkleinern, aber bislang war da immer nur der Wunsch der Vater des Gedankens“, seufzt Alwin Schockemöhle lächelnd, um dann sofort zu prophezeien: „Aber irgendwann ist es wirklich so weit, irgendwann geht alles zu Ende.“ Die Leiden des Lebens Alwin Schockemöhle, der seit bald drei Jahrzehnten ganz erheblich unter starken Rückenschmerzen und -beschwerden leidet, erklärt heute mit entwaffnender Offenheit: „Ich habe gelernt, mit diesen Beschwerden zu leben. Auch wenn es nicht immer leicht ist. Mal ist es schlimmer, mal geht es. Man gewöhnt sich an alles im Leben. Ich hab’ alles versucht, hab’ mich mit Gymnastik gequält, hab’ die berühmtesten Masseure aufgesucht. Am Ende hat alles nichts genutzt. Also hab’ ich begriffen, dass ich mich damit abfinden muß. Es nutzt ja alles nichts.“ Sein Motto: Lerne leiden und trotzdem zu leben, ohne zu viel zu klagen. Er weiß längst, dass es die anderen sowieso nicht interessiert und ihm auch keiner helfen kann. Umso imponierender ist sein Lebensmut, ist sein unverändert gewinnendes, oft sogar fröhliches Auftreten . Momente der Todesangst Viel schlimmer und schrecklicher als alles bisher Erlebte war’s für ihn und seine Frau Rita, als sie vor wenigen Wochen in ihrem eigenen Haus Opfer eines brutalen Raubüberfalls wurden. Dass dabei „ein paar Klunkern und ein bißchen Geld“ gestohlen wurde, wie er es etwas verharmlosend formuliert, haben Rita und Alwin Schockemöhle verschmerzt. Viel schlimmer war es für beide - und das klingt noch heute nach - dass sie sich so schrecklich hilflos diesen brutal auftretenden Verbrechern ausgeliefert fühlten und buchstäblich in jedem Augenblick fürchten mußten, umgebracht zu werden. Sie peinigten die Schockemöhles, drohten erst, Alwin Schockemöhle alle Finger zu brechen, wenn er kein Geld herausrücken würde, setzten ihm gar eine Bohrmaschine auf die Brust und ließen das Ehepaar schließlich gefesselt im Schlafzimmer zurück. Alwin Schockemöhle: „Wenn einem ein Messer an den Hals gehalten wird und einer schreit ‘Du gleich tot’, dann hat man wirklich Todesangst.“ Rita und Alwin Schockemöhle haben die schrecklichen Morgenstunden vom 8. März noch immer nicht überwunden und sie werden sie nie vergessen können, aber sie wissen, dass das Leben weiter geht. Dass es jetzt noch lebenswerter ist. Alwin Schockemöhle, der noch einmal „auf meine alten Tage“ und vor allem wider Willen in die Schlagzeilen geriet, ist fest entschlossen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten solchen Anschlägen künftig zu begegnen. Nichtsdestotrotz: Das Leben geht – glücklicherweise – wirklich weiter, und am 29. Mai wurde ein Großer groß gefeiert. Wie sich‘s gehört! Karl Morgenstern