Inland
Von Erdberg in die Welt und zurück
Ein "aktiver Präsident"
wolle er sein, kündigte Klestil bei
seinem Amtsantritt vor zehn Jahren an -
Spätestens bei der
Bildung der jetzigen
Regierung lernte er
jedoch die Grenzen
seines Bewegungsdranges kennen
Wien - Das Bild ging um die
Welt. Am vierten Feber 2000
vollzog Bundespräsident
Thomas Klestil die Angelobung der neuen Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ
mit versteinerter Miene. Er
hatte diese Koalition nie gewollt, und dass ihn sein Parteifreund Wolfgang Schüssel
nicht früher über seine wahren Ziele unterrichtet hatte,
empörte den machtbewussten Mann zusätzlich - wahrscheinlich auch deshalb,
weil im gerade der neue
Bundeskanzler kühl demonstriert hatte, wie wenig
Einfluss ein österreichisches
Staatsoberhaupt laut Verfassung auf die Regierungsbildung hat, wenn sich zwei
Parteien geeinigt haben.
Draußen auf dem Ballhausplatz also demonstrierten tausende Regierungsgegner, in der Präsidentschaftskanzlei warteten dutzende
TV-Teams aus aller Welt auf
den Auftritt, und das erste
Kabinett Schüssel betrat den
Ort der feierlichen Handlung
durch den unterirdischen
Gang, der Klestils Amtssitz
mit dem Kanzleramt verbindet. Das Missfallen über dieses auch protokollarisch aus
dem Rahmen fallende Ende
einer Entwicklung, der Klestil über Wochen lang vergeblich gegengesteuert hatte,
war seiner Miene abzulesen.
Endgültiger Bruch
Mit diesem Akt zerbrach
nicht nur das nie sehr innig
gewesene Verhältnis zwischen Klestil und Schüssel,
es ging auch eine Erfolgsgeschichte im Leben des ehrgeizigen Diplomaten zu Ende, der es aus kleinsten Erdberger Verhältnissen bis in
das Rampenlicht der großen
Politik geschafft hatte. Seit
seinem überraschend klaren
Sieg, den er am 24. Mai 1992
in der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen den favorisierten SP-Kandidaten Rudolf Streicher landen konnte,
hatte die Tagespolitik nie geprüft, wie weit Klestils Einfluss wirklich ging und ob er
den Rahmen repräsentativer
Pflichten tatsächlich sprengen konnte.
Von Beginn an
war Klestil geradezu besessen darum bemüht, eben das
zu beweisen - was ihm bald
den Vorwurf eintrug, sich in
eitlem Aktionismus zu verzetteln.
Dennoch fielen die Aktivitäten seiner ersten Jahre
durch einen neuen Stil auf,
der in der ÖVP geradezu
amerikanisch-agil wirkte.
Als erstes österreichisches
Staatsoberhaupt bekannte er
1994 bei seinem Besuch in
Israel die Mitschuld Österreichs am Holocaust ein, und
stärker als mancher seiner
Parteifreunde engagierte sich
Klestil für den EU-Beitritt Österreichs und für die neuen
Demokratien Osteuropas.
In diesem Bereich funktionierte das im diplomatischen Dienst geschärfte Sensorium besser als im medialen, dessen mittlerweile auch
in Österreich vollzogenen
Paradigmenwechsel Klestil
in eigener Sache hätte bedenken müssen - um so
mehr, als er ihn sich während seiner Präsidentschaftskampagne meisterlich zu Nutzen gemacht hatte. Gegen Streicher hatte er
mit einem personalisierten,
auf die Kontrolle der Mächtigen und die Wiederbefestigung hehrer Familienwerte
ausgerichteten Wahlkampf
gewonnen, der geschickt in
den Boulevardmedien inszeniert worden war.
Härte des Boulevards
Die hatten nun vor der Privatsphäre des Präsidenten
ebenso wenig Respekt wie
vor jener des Kandidaten, als
1994 ruchbar wurde, dass
Klestils Ehe mit seiner Frau
Edith gescheitert war. Die
Scheidung und Liaison mit
der Diplomatin Margot Löffler, die Klestil schließlich
heiratete, gerieten zur genüsslich aufbereiteten Seifenoper, an der alle Betroffenen Schaden nahmen.
Die Vorwürfe seiner Parteifreunde, Klestil beschädige
seine amtliche Reputation,
waren zumindest an seinen
Beliebtheitswerten nicht
ablesbar: Diese betrugen im
August 1998, vier Monate
nach seiner Wiederwahl, 67
Prozent und lagen deutlich
über jenen von Kanzler Franz
Vranitzky und Wolfgang
Schüssel.
Von solchen hehren Höhen ist Klestil am
Abend seiner Karriere weit
entfernt, obwohl ihm noch
immer 55 Prozent der Österreicher wünschen, eine
"wichtigere Rolle" zu spielen. Im politischen Tagesgeschäft wird das wohl kaum
mehr der Fall sein. Vielleicht
ahnt Klestil das auch und
wendet sich deshalb verstärkt dem einfachen Volk zu
- etwa, indem er es an einem
Tag der offenen Tür in die
Hofburg lädt. (Samo Kobenter/DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.6.2002)