Innovationen
Mythos Schreibmaschine: Viele Autoren arbeiten ohne Computer
Geschätzte 25 bis 30 Prozent der Autoren verfassen ihre Manuskripte mit der Schreibmaschine
Sten Nadolny, Autor des Romans "Die Entdeckung
der Langsamkeit", ist nicht der einzige: Er vermisst seine
Schreibmaschine. Computer machten ihn geschwätzig, verriet er in
einem Interview. Andere Schriftsteller verweigern sich der modernen
Technik und bleiben gleich bei der guten alten Maschine. Ob John
Irving, Urs Widmer, Peter Rühmkorf, Eckhard Henscheid oder Rolf
Hochhuth: Die Liste ist lang. Der Diogenes Verlag schätzt
beispielsweise, dass 25 bis 30 Prozent der Autoren ihre Manuskripte
mit der Schreibmaschine verfassen, einer Erfindung aus dem 19.
Jahrhundert.Sinnlichen Einzelheiten
Was steckt dahinter - zumal ja für die Wartung zuweilen der letzte
noch lebende Spezial-Mechaniker aus dem russischen Smolensk
eingeflogen werden müsse, spottete die "New York Times".
Berührungsängste und Technologiefeindlichkeit sind es wohl nicht. Das
Einspannen, der Blick auf das weiße Blatt, dass Hämmern auf der
Tastatur - die sinnlichen Einzelheiten gehören zu einem ganz
bewussten Prozess.
John Irving ...
"Gut schreiben bedeutet für mich umschreiben, und (wie) um gut zu
ringen, muss man es immer wieder tun, muss man die Griffe und
Bewegungen unermüdlich wiederholen, bis sie einem zur zweiten Natur
werden", so erklärt es John Irving in dem Band "Die imaginäre
Freundin" (Diogenes). Der amerikanische Autor tippt seine Romane auf
der elektrischen Maschine, die handschriftlich überarbeiteten
Fassungen werden von Assistenten erfasst und weitere Korrekturen
schrittweise eingearbeitet.
Vor- oder Nachteil
Was von vielen als großer Vorteil des Computers gesehen wird - das
leichte Überarbeiten, das bequeme Löschen, Kopieren und Verschieben
des Textes - ist nach Ansicht anderer Autoren eher ein Nachteil. Die
Reinschrift an der Maschine sei ein "ungeheures Korrektiv", sagte
Nadolny der "Frankfurter Rundschau". "Du schreibst das ab, mit wunden
Fingern und wehen Knochen und überlegst dir bei jedem Satz: Muss ich
das wirklich schreiben? Und sagst oft: Den kann ich glatt weglassen."
Der Sound
Der Schriftsteller Friedrich Ani ("German Angst") will sich nach
Jahren mit dem Laptop eine mechanische Schreibmaschine kaufen, auch
weil er den "Sound" so gern mag. "Ich möchte da wieder eine
Langsamkeit in mein Schreiben bringen", sagt er. Auch Anton G.
Leitner bekommt für seine Lyrik-Zeitschrift "Das Gedicht" öfter von
jüngeren Autoren getippte Seiten, die nach Schreibmaschine aussehen.
Leitner glaubt allerdings, dass sich auch bei den Dichtern der
Computer durchgesetzt hat: Die erste Fassung wird mit dem
Füllfederhalter zu Papier gebracht, dann wird der Text - gern auch in
mehreren Versionen - im Computer abgespeichert.
Ersatz-Exemplare
Von dem Dichter und Übersetzer Karl A. Kühne weiß Leitner indes zu
erzählen, dass dieser sich gleich vier elektrische Schreibmaschinen
als Ersatz-Exemplare besorgt hat - aus Sorge, sie könnten aus dem
Handel verschwinden. Siegfried Lenz schreibt seine Manuskripte mit
der Hand; erst danach entsteht die Maschinenfassung, wie der Verlag
Hoffmann und Campe Verlag berichtet. Auch die Autorin Christa Schmidt
(Jahrgang 1959) meidet den Computer standhaft und hat ihr neues Buch
"Jubeljahr" unbeirrt mit der Schreibmaschine verfasst.
Seit jeher verbindet Dichter und Denker ein besonders inniges
Verhältnis zu ihrem Werkzeug. Schon Friedrich Nietzsche (1844-1900)
hämmerte lustvoll auf seiner Mallig Hansen, einer der ersten
kommerziell hergestellten Schreibmaschinen der Welt. "Sie haben Recht
- unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken", erklärte er
einem Freund. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich
die Remingtons, Erikas und Gabrieles zu einem Mythos und einem Symbol
für Literatur.
Wie Musik
Der Mythos lebt: Noch heute sieht man in Filmen den Schriftsteller
über die Tastatur gebeugt, fluchend, mit sich und der Welt hadernd,
daneben ein überfüllter Aschenbecher und ein Papierkorb mit
zusammengeknüllten Seiten, das Zimmer erfüllt vom Stakkato der
Maschine - auch daran erinnert sich Sten Nadolny mit Wehmut. Er habe
es wie Musik empfunden, "das hatte so etwas Rhythmisches".
(apa/Von Caroline Bock/dpa)