Film
Leichte Kost, millionenschwer - oder?
Im Sommer von "Men in Black II" und "Minority Report": Die alten Konzepte für Großproduktionen wanken
Jahrelang schien es ziemlich klar, dass der Sommer die beste Jahreszeit für flotte Großproduktionen ist. Aber die alten Konzepte wanken. Oft gewinnt man an den Kinokassen gerade mit unerwarteten Qualitäten.Hat jemand vorhergesehen, dass George Lucas mit
Starwars: Episode II
wieder sehr erfolgreich sein würde? Hat auch nur irgendjemand daran gezweifelt, dass die Jedi-Ritter mit einem weltweit gleichen Starttermin Rekordzahlen schreiben würden?
Warum wir das fragen?
Nun, der Megaerfolg von
Episode II
sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztlich
Episode I
ungleich mehr Besucher verzeichnen konnte, und: Der wahre Sieger des Frühsommers heißt weltweit
Spider-Man.
George Lucas wird es zweifellos überleben. Er wird für
Episode III
im Sommer 2005 die PR-Konzepte noch einmal überdenken müssen. Bis dahin werden die Experten in der Branche weiterhin zunehmend vorsichtig mit ihren Prognosen agieren. Denn: Die alten Konzepte von Sommerkino geraten in den USA ins Wanken.
Zwei Studios, zwei Konzepte, zwei Produktions- und Vertriebsphilosophien sind es derzeit, die die US-Filmbranche permanent am inständigsten beobachtet.
Hier der Titan Sony Pictures, der, teils in Einzelgängen, sonst aber weitgehend in Kooperationen mit Traditionsstudios, fast ausschließlich auf klassische Blockbuster setzt - und dabei Gefahr läuft, dass die hauseigenen Produktionen einander gegenseitig das Wasser abgraben:
Spider-Man
,
Men in Black II
, das Frank-Capra-Remake
Mr. Deeds
(mit Starkomiker Adam Sandler),
Stuart Little II
und einige andere potenzielle Hits scheinen heuer geradezu selbstmörderisch gegeneinander programmiert. Wiewohl: Zumindest bei
Spider-Man
ist die Rechnung aufgegegangen und ein Sequel für Sommer 2004 in Planung. Dennoch können ein oder zwei Flops die damit eingefahrenen Gewinne beträchtlich dezimieren.
Der Gegenentwurf zu Sony, das gleichsam eine gewaltige Schirmherrschaft über die Major Players in Hollywood entwickelt, ist DreamWorks - das (ökonomisch immer noch nicht stabilisierte) Mittelstudio von David Geffen, Jeffrey Katzenberg und Steven Spielberg: Dort setzt man zuallererst auf die Entwicklung interessanter Stoffe, dockt mit diesen dann bei potenten Partnern an, bestimmt aber weiterhin die Vertriebspolitik wesentlich - und diese Vertriebspolitik ist, gelinde gesagt, höchst unkonventionell.
Branchenintern heftig umstritten ist etwa der für 12. Juli geplante Start des neuen Werks von
American Beauty
-Regisseur Sam Mendes: Das Gangster- und Familiendrama
The Road to Perdition
wartet zwar mit Tom Hanks und Paul Newman auf, gleichzeitig konzedieren erste Berichte aber eine Düsternis und Komplexität, die im Sommer für gewöhnlich schwer zu verkaufen ist: Bis dato waren solche Filme eher ein Fall für den Dezember als Hauptmarktplatz für den Oscar.
DreamWorks könnte aber gerade mit solchen Unterwanderungen von Erwartungshaltungen Überraschungserfolge landen. Ein erster ist zumindest schon gelungen: Steven Spielbergs
Minority Report
, eine Verfilmung einer SciFi-Kurzgeschichte von Philip K. Dick mit Tom Cruise - das klingt zwar wie die Ankündigung eines Mega-Popcorn-Movies, aber das Gegenteil ist der Fall: Sowohl Cruise (
Eyes Wide Shut
) als auch Spielberg (
Artificial Intelligence
) scheinen hier ihrem einstigen Freund und Kollaborateur Stanley Kubrick eine letzte Reverenz erwiesen zu haben, und entsprechend grimmig und verstörend ist dieser Thriller:
Wenn Polizisten Mörder auf Basis von Prophezeiungen bereits vor vollbrachter Tat stellen - wie verhält sch dann ein Cop, der plötzlich selbst verdächtigt wird und gegen sein Schicksal anarbeiten soll? Ist "Zukunft" eine Konstruktion, die man unterlaufen kann? Was heißt "Selbstschutz" für Individuen und eine Gesellschaft? Solche Fragen haben nun erfreulicherweise das US-Publikum nicht daran gehindert, die Kinos zu stürmen.
Und dass
Minority Report
am Startwochenende nur knapp vor dem neuen Disney-Hit
Lilo & Stitch
rangierte, ist eigentlich keineswegs eine Enttäuschung - erst recht nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass
Artificial Intelligence
im Vorjahr trotz guter Kritiken auf entscheidend weniger Publikumsbegeisterung stieß. Und: Der Pferde-Trickfilm
Spirit
, bei DreamWorks eigentlich als direkte Konkurrenz zu Disney geplant, kommt seinerseits heuer nicht annähernd an Spitzenwerte des letzten DW-Animationshits
Shrek
heran.
Man sieht: Vorhersagen sind schwer zu treffen. Und als beste Blockbuster-Zeit ist der Sommer längst überholt. Auch heuer starten die vermutlichen Megahits wieder im Spätherbst und Winter. Das erwartete Duell lautet:
Harry Potter und die Kammer des Schreckens
gegen
Der Herr der Ringe: Die zwei Türme.
Ein einziger "Trend" aber scheint ausgemacht: Nahezu alle Erfolgsstoffe, die derzeit breitgewalzt werden, stammen aus "trashigen" Bereichen. Egal, ob es sich nun um die Comics-Vorlage zu
Road to Perdition
, die Texte von Philip K. Dick, die 007-Vorlagen für
Austin Powers III
oder eben Tolkien und Harry Potter handelt: Sie alle hätten früher bestenfalls Grundlagen für Low-Budget-Filme oder routinierte B-Picture-Serien ergeben. Es ist, als würde zunehmend klar, wie reich die Träume sind, die in der Pop-Gosse geträumt werden - bzw.: wie reich sie den machen können, der sie weitererzählt. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2002)