Wien - Die Spiritualität, also die Antriebskraft von Soul-Musik, ist ein zartes Pflänzchen. War sie, aus dem Gospel kommend, noch stark an diesen gebunden, geriet sie im weltlichen Soul immer öfter ins Hintertreffen, verschwand im schwarzen Pop oft gänzlich und führt heute nur noch ein Schattendasein - gepflegt und gehegt mehr von den Fans als von den Künstlern. Isaac Hayes, einer der größten, wichtigsten und erfolgreichsten Soul-Musiker, führte am Montag in der Wiener Staatsoper in einigen raren Momenten vor, was passieren kann, wenn seine Stimme sich ihrer Spiritualität besinnt und nicht nur routiniert dem gebotenen Best-of-Programm folgte. Leider in zu wenigen. Hayes, als Produzent und Songschreiber (im Duo mit David Porter) für so unsterbliche Hits wie Soul Man oder Hold On, I'm Coming verantwortlich, war es, der den herkömmlichen Songrahmen sprengte und über ganze Albenseiten ausdehnte. Er war damit einer der innovativsten Musiker und wesentlich für die Erfolgsgeschichte des Stax-Labels in Memphis, Tennessee, verantwortlich. Während früher gerade in diesen Epen jene Spannung und jenes erotische Knistern auftauchte, das in den 70ern in den so genannten Bedroom-Soul mündete, wirkten Songs wie Walk On By heute einfach nur ausgedünnt. Auch der Umstand, dass sich Hayes bei seinem Jazzfest-Auftritt bei insgesamt vier Keyboards mit Retorten-Bläsern und virtuellen Streichern bediente, die im ohnehin ungeeigneten Rahmen des Staatsopernhauses zusätzlich Karaoke-Charme verbreiteten, tat - ja - in der Seele weh. Zum totalen Tiefpunkt geriet das an die Schmonzette Candle In The Wind erinnernde Weltverbesserungs-Liedchen Windows Of The World von Burt Bacharach. Da erschienen sogar die entbehrliche Soli in fast allen Songs vergleichsweise erträglich. Als Hayes sich gegen Ende vom Keyboard erhob, um das unumgängliche wie unvergleichliche Private-Eye-Thema Shaft zu spielen, sprang endlich der Funke über. Der Saal tobte, auf der Bühne ging die Post ab. Denn Hayes' Bühnenpräsenz muss schon als erstaunlich eingestuft werden. Umso mehr schmerzte es, wie wenig er daraus machte. Man wünschte dem charismatischen Glatzkopf einen Produzenten, der ihm Erdung in der Jetzt-Zeit gibt. Etwas, was dem 59-Jährigen merklich fehlt. Dann würde er vielleicht jene Magie wieder entdecken, die er früher nahezu vergleichslos verbreiten konnte. Ansonsten werden seine Auftritte wohl auch in Zukunft immer den Beigeschmack der Wehmut besitzen, die sich aus der bitteren Einsicht nährt, dass sich hier jemand bedeutend unter seinem Wert verkauft. Schade. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.7.2002)