Das Treffen des brasilianischen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin mit Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und österreichischen Unternehmern in Brasília dauert an diesem Nachmittag schon eine ganz Weile, als ein Vertreter des brasilianischen Eisenbahnverbands das Wort ergreift. Der Mann ist im Brotberuf Manager der Sparte Bahnsysteme der Voestalpine in dem südamerikanischen Land. Er ersucht die Regierung Brasiliens um Hilfe gegen angeblich problematische Handelspraktiken Chinas. Worum es unter anderem geht: Ein brasilianisches Unternehmen hat soeben mit dem chinesischen Bahnausrüster CRRC den Zuschlag für Errichtung und Betrieb einer Strecke zwischen den Städten São Paulo und Campinas gewonnen. Die Befürchtung ist, dass Subaufträge nun lediglich an chinesischen Firmen gehen werden.

Brasiliens Vizepräsident bekam auch ein Memorandum der Eisenbahner überreicht, das zur Einhaltung des Buy America Act aufruft, wonach bei öffentlichen Projekten in Brasilien 60 Prozent der Beschaffung aus lokaler Produktion sein müssen . Die Voest produziert auch lokal im Land, beschäftigt 170 Mitarbeiter an den Standorten São Paulo und Bacabeira. Hergestellt werden dort unter anderem Weichensysteme und Schienenprofile. Dem Memorandum schließen sich zwei andere heimische Konzerne an, die groß im Brasilien-Geschäft sind, unter anderem der Feuerfesthersteller RHI Magnesita. Das Unternehmen kleidet Hoch- und Schmelzöfen aus, wo Temperaturen von 1000 Grad plus herrschen. Neben einer großen Mine, wo Magnesit abgebaut wird, wird der Rohstoff in Brasilien auch verarbeitet. Dabei beim Memorandum war schließlich auch der Anlagenbauer Andritz.

Beim Export von Maschinen hat China Deutschland bereits überholt, bei Fahrzeugen holt es schnell auf.
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Seit Wochen wird in Brasilien über Billigimporte aus China diskutiert. Das Industrieministerium hat ein halbes Dutzend Untersuchungen eingeleitet, es geht um Importe von Blechen, Stahl, Chemikalien und Reifen aus China. Aber eines wird nach dem Treffen anlässlich der Brasilien-Reise von Wirtschaftsminister Kocher deutlich: Der Konflikt tobt vielleicht gar nicht so sehr zwischen Brasilien und China. Auch hier, in Südamerika, lautet das Match Europa gegen China.

Die Beziehungen zwischen China und der EU werden zunehmend turbulent. Während es im Konflikt der USA mit China stärker um sicherheits- und geopolitische Fragen geht, drehen sich die Spannungen zwischen Europäern und Chinesen um wirtschaftliche Interessen. Europäische Industrieunternehmen sehen sich zunehmend der Konkurrenz mit chinesischen Anbietern ausgesetzt. Dieser Wettbewerb ist in der Darstellung der Europäer verzerrt, weil China keine Marktwirtschaft ist, sondern der Staat die Wirtschaft steuert und subventioniert.

Die Konflikte werden auf mehreren Ebenen ausgetragen. Da sind einmal die zunehmend umkämpften Märkte von Drittländern wie Brasilien, Indien oder Indonesien. China reüssiert hier zusehends nicht nur mit der Ausfuhr von Rohstoffen, sondern mit dem Verkauf komplexer Industriegüter. Die deutsche Allianz hat diese Entwicklung vor kurzem in einem Bericht analysiert: Demnach haben sich chinesische Unternehmen erfolgreich die Wertschöpfungskette hinaufgearbeitet. So hat China Deutschland bei der Ausfuhr von Maschinen, Chemikalien, Computern und Telekomprodukten in die Welt bereits überholt. In der Industriesparte Auto und Autoteile führen die Deutschen noch. China konnte seine Exporte von Maschinen nach Brasilien, Indien, Russland und Südafrika seit 2019 um satte 90 Prozent steigern, deutsche Ausfuhren dorthin brachen im gleichen Zeitraum um fast ein Viertel ein. In der Gruppe der Asean-Länder, der etwa Indonesien und Thailand angehören, machten die Chinesen ebenso Boden gut. Das ist der eine Konflikt.

Die EU ist kein zahmes Lamm

Der zweite betrifft den europäischen Markt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei der Eröffnung der Industriemesse in Hannover am Sonntagabend den Ton gegenüber den Chinesen verschärft. Man werde "stärker als früher auf faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen drängen", sagte von der Leyen. "Wo wir Missbrauch sehen, werden wir nicht zögern, unsere Abwehrinstrumente einzusetzen". Sie spielte damit auf den Konflikt mit China rund um den Import von E-Autos in die EU an. Das dürfte mehr sein als bloßes Getöse der wahlkämpfenden Politiker. Es wird immer wahrscheinlicher, dass die EU Strafzölle gegen die E-Autos aus China verhängt, die Untersuchung der Kommission läuft, Ergebnis wird für Juni erwartet.

Die EU schützt ihre Unternehmen
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Interessant ist, dass von der Leyen so tut, als vertrete die EU nicht schon aggressiv die Interessen der eigenen Unternehmen. Laut Analyse der Uno-Handelsorganisation UNCTAD ist die EU mit den USA die Region, die die meisten Schutzmaßnahmen ergriffen hat, weil sie in gewissen Sektoren Unternehmen gefährdet sieht. Zu solchen Maßnahmen zählen etwa Strafzölle gegen Produkte aus anderen Staaten oder Einfuhrbeschränkungen. Auch die Schiedsgerichtsbarkeit der Welthandelsorganisation WTO nutzt die EU gemeinsam mit den USA am intensivsten, sagt der Ökonom Harald Oberhofer von der WU-Wien.

Wenn nicht gerade Energiekrise ist, exportiert die EU mehr, als sie importiert (Handelsbilanz der EU mit dem Rest der Welt in Milliarden Euro).
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Dass die EU ihre Interessen zu verteidigen weiß, zeigt sich auch darin, dass die Union mit fast all ihren wichtigen Handelspartnern einen Überschuss erwirtschaftet: Es werden mehr Waren aus- als eingeführt. Das gilt für die USA ebenso wie für das Vereinigte Königreich, für Kanada, die Schweiz und die Türkei. Die Handelsbilanz der EU war vor Beginn des Ukrainekriegs ein Jahrzehnt lang positiv. Das änderte sich 2022 mit dem massiven Anstieg der Energiepreise. Schon 2023 führte die EU wertmäßig mehr Waren aus als ein. Einziges notorische Handelsdefizit hat die Union mit China. Wenn die EU also den Mittbewerber China ins Visier nimmt, tut sie dabei sicherlich auch eines: ihre eigene, dominante Markstellung verteidigen. (András Szigetvari, 24.4.2024)