Die schwarze Axt des Bosses der Nigeria-Mafia in Deutschland wurde nach einer Razzia der Öffentlichkeit präsentiert.
Die schwarze Axt des Bosses der nigerianischen Black Axe in Deutschland wurde nach einer Razzia der Öffentlichkeit präsentiert.
Patrick Guyton

Sie suggerieren auf Dating-Plattformen im Internet die große Liebe, nehmen die gutgläubigen Opfer aus und verschieben das Geld auf komplizierte Weise: Love-Scamming nennt sich diese Betrugsmasche. Sie ist eines von vielen Betätigungsfeldern der sich rasant ausbreitenden nigerianischen Mafia. Nach mehr als zwei Jahren Ermittlungen ist nun ein entscheidender Schlag gegen die größte Gruppe in Deutschland, einen Ableger der nigerianischen Gruppe Confraternity Black Axe, gelungen.

"Es besteht ein sehr weitverzweigtes Netzwerk dieser Organisation in Deutschland und im Ausland", sagt der Kriminaldirektor Jürgen Harle vom Bayerischen Landeskriminalamt bei einer Pressekonferenz in München. Gefasst wurden bei einer Razzia die führenden Köpfe des deutschen Ablegers des kriminellen Clans.

Am Dienstag waren mehr als 350 Beamte zu 19 Durchsuchungen in vier Bundesländern ausgerückt: in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Elf Verdächtige kamen in Haft, viele elektronische Datenträger wie Handys sowie andere Gegenstände wurden beschlagnahmt. Die Federführung lag beim LKA Bayern und der Staatsanwaltschaft München.

Bandenchefs festgenommen

Laut Staatsanwalt Maximilian Kraus – zuständig für organisierte Kriminalität – wurden der alte sowie der neue Deutschland-Chef von Black Axe sowie der zweite Mann der Bande, der sogenannte "Chief Priest", festgesetzt. Beim Ex-Chef und dem "Priest" war dies in Baden-Württemberg, und zwar in Filderstadt und im Landkreis Tübingen. Die aktuelle Nummer eins konnte in Hamburg in Haft genommen werden. Sieben weitere hochrangige Bandenmitglieder hielten sich in verschiedenen bayerischen Orten auf, eines in Hessen.

Beim Love-Scamming im Internet wird etwa nach Frauen in Deutschland Ausschau gehalten, die die große Liebe und einen Partner suchen. Die Täter geben sich beispielsweise – laut Ermittlern ist das ein "Klassiker" – als gutaussehende und gefühlvolle US-amerikanische GI-Soldaten aus, die in Deutschland am Frankfurter Flughafen festsitzen und kurzfristig Geld brauchen.

Oder als amerikanische Kleinunternehmer, die dringend einen Zwischenkredit für die Firma bezahlen müssen. Opfer des Love-Scamming insgesamt sind zu zwei Dritteln Frauen, die Täter zu zwei Dritteln Männer. Es ist eine digitale Form des Heiratsschwindels. Harle meint: "Die Opfer stürzen in psychische Abgründe, das geht bis zum Suizid." Er rät dringend, die Scham zu überwinden und zur Polizei zu gehen, die auch psychologische Hilfe anbiete.

Black Axe auch in Italien aktiv

Insgesamt hat Black Axe in Deutschland laut den Ermittlern 900 Mitglieder, davon um die 100 in Bayern. Weltweit gehören dieser Mafia 30.000 Menschen an. Neben Nigeria selbst liegt ein großer Schwerpunkt im südlichen Italien. Dort ist laut einem ZDF-Bericht Castel Volturno das Zentrum, eine Stadt 35 Kilometer nördlich von Neapel. Experten gehen davon aus, dass die nigerianische Mafia dort mittlerweile so stark vertreten ist wie die italienische.

In Italien geht es hauptsächlich um Menschenhandel und Zwangsprostitution von Mädchen und jungen Frauen aus Nigeria sowie um Drogenschmuggel. Bayern gilt als das beliebteste Einzugsgebiet von Black Axe in Deutschland, sagt der Staatsanwalt Carlos Dastis. Vermutlich liegt das an der geografischen Nähe zu Italien. Deutschland insgesamt wurde laut Ermittler Kraus zu einem "Erfolgsmodell" für die nigerianische Mafia, weil sie hier bisher unbehelligt die Tarnorganisation Neo Black Movement als Verein betreiben konnte, Sitz ist in Osterholz-Scharnbeck (Niedersachsen) unweit von Bremen. Dieser gab sich sogar wohltätig und spendete im November 2021 etwa 500 Euro an einen Augsburger Verein gegen Rassismus.

Black Axe mutet ebenso skrupellos wie geheimnisvoll an. Der Bundesnachrichtendienst hält die nigerianische Mafia für die mit Abstand brutalste kriminelle Organisation in Europa. Gegründet wurden Black Axe und andere in den 1950er-Jahren einst als Studentenorganisationen mit einem hehren Ziel: Sie wollten sich für die Abschaffung des Kolonialismus in ihrer Heimat einsetzen. Mitte der 1980er-Jahre wandten sie sich aber dem Verbrechen zu und wurden in Nigeria 2004 verboten – was aber sogar um ein Vielfaches vergrößerte Aktivitäten nicht verhinderte. Es gibt Schweigegelübde und Voodoo-Tendenzen.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Als Fundstücke bei der Razzia präsentieren die Ermittler in München nun mit einem gewissen Stolz das schwarze Beil des Anführers mit der Aufschrift "King Zulu", das bei der Organisation große rituelle Bedeutung hat, sowie die schwarze Peitsche des "Priest", die, so die Ermittler, auch zur Einschüchterung und Disziplinierung von Mitgliedern verwendet wurde.

Zu Drogenhandel und vor allem auch Zwangsprostitution sind Polizei und Staatsanwaltschaft bei dieser Großrazzia zwar auf Hinweise gestoßen – aber auf keine, die gerichtsfest wären. "Unser Hauptaugenmerk lag auf Scamming und Geldwäsche", meint Carlos Dastis.

Dass aber auch in Deutschland Zwangsprostitution in erheblichem Ausmaß betrieben wird, berichtet Maria Decker vom Frauenschutzverein Solwodi im Gespräch mit dem STANDARD. Solwodi setzt sich für migrantische Frauen ein. Allein bei dessen Zweigstellen haben sich im vergangenen Jahr 180 Frauen gemeldet, die auf brutale Weise zur Prostitution gezwungen werden – die meisten aus Westafrika, davon die meisten aus Nigeria. Decker geht davon aus: "Die Dunkelziffer ist riesig." (Patrick Guyton aus München, 24.4.2024)