Exoplaneten und planetenähnliche Welten sind nicht immer an ein Sternsystem gebunden. Diese planetaren "Waisen" ohne Muttergestirn sind der Astronomie seit fast 30 Jahren bekannt und bereiten Fachleuten in einigen Aspekten immer noch Kopfzerbrechen. Das trifft insbesondere auf eine im vergangenen Jahr entdeckte Variante zu. Die Himmelskörper von teilweise enormen Ausmaßen wurden im Trapezium Cluster erspäht, einem 1.400 Lichtjahre entfernten offenen Sternhaufen im Zentrum des Orionnebels.
Insgesamt 500 solcher Objekte zählte ein Team um Mark McCaughrean von der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) mithilfe des James Webb Space Telescope (JWST). Etwa 80 der Planeten mit 0,7 bis 13 Jupitermassen stellten die Forschenden vor ein besonderes Rätsel, denn diese sogenannten Jupiter Mass Binary Objects (JuMBOs) kamen im Doppelpack daher; das heißt, sie kreisten in teilweise großen Abständen um einander – und das lässt sich auf Grundlage der vorhandenen Theorien nicht so ohne weiteres erklären.
Unklare Herkunft
Zur Herkunft von Einzelgängern herrscht dagegen kein Mangel an Hypothesen: Eine Möglichkeit wäre, dass die unabhängigen Exoplaneten in Regionen des Nebels geboren wurden, in denen die Materialdichte für die Bildung vollwertiger Sterne nicht ausreichte. Sie könnten aber auch wie Planeten in der Umlaufbahn eines Sterns entstanden und als Folge von gravitativen Wechselwirkungen in den interstellaren Raum hinausgeschleudert worden sein. Als Auslöser könnten vorüberziehende Sterne fungieren, die für Durcheinander sorgen.
Letzteres wurde bisher als wahrscheinlichste Möglichkeit ins Auge gefasst. Nur bleibt dabei ein großes Problem: Wie Exoplaneten paarweise aus einem Sternsystem hinausgeworfen werden können, ohne dabei voneinander getrennt zu werden, lässt sich so nicht einwandfrei erklären. Damit legt das paarweise Auftreten der JuMBOs in so großer Zahl die Annahme nahe, dass hier vielleicht doch andere Entstehungsprozesse am Werk sind als bei herkömmlichen Planeten derselben Masse.
Simulierter Rauswurf
Eine finale Lösung dieses Rätsels liegt zwar immer noch nicht vor, aber immerhin scheint nun ein Team um Dong Lai von der Cornell University (Ithaca, New York) auf etwas gestoßen zu sein. Um herauszufinden, durch welchen Prozess JuMBOs und Einzelgänger entstehen könnten, wandten sich Lai und Fangyuan Yu von der Shanghai Jiao Tong University hochkomplexen Simulationen zu. Im Zentrum stand die Frage, was passiert, wenn ein Stern an einem Sternsystem nahe vorüberzieht, das zwei Planeten mit jeweils Jupitermasse beherbergt.
Bei den zehntausenden Durchläufen veränderten die Forschenden verschiedene Parameter wie die Masse der Planeten, ihren relativen Abstand und die Geschwindigkeit des vorbeifliegenden Sterns. Damit wollten sie herausfinden, welche Faktoren das Fortschleudern von zwei aneinander gebundenen planetaren Riesen begünstigen würde.
Sehr unwahrscheinlich
Letztlich konnten sie zwei Aspekte identifizieren, die einen besonderen Einfluss zu haben scheinen: JuMBOs entstanden mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn die Planeten anfangs in benachbarten Umlaufbahnen kreisen oder wenn sie bis zu viermal so massereich sind wie Jupiter.
Aber selbst unter solchen guten Bedingungen war die Chance, dass zwei Planeten gleichzeitig herausgeschleudert werden, immer noch unglaublich gering: In weniger als einem Prozent dieser Szenarien mit idealen Anfangsparametern wurden aneinander gebundene Planetenpaare aus dem System geworfen. Im Unterschied dazu war die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Planeten bei einem stellaren Vorbeiflug fortgeschleudert werden, hundertmal höher.
Geburt ohne Muttergestirn
Lai und sein Team halten es daher für glaubhafter, dass das planetare Geschwisterpaar ohne Heimatstern im Orionnebel gemeinsam aus einer kollabierenden Materiewolke hervorgingen. Dass JuMBOs zusammen ein Sternsystem verließen, wäre deutlich weniger wahrscheinlich, schreibt die Gruppe in ihrer Studie, die sie beim "Astrophysical Journal" zur Begutachtung eingereicht hat.
Zwar handelt es sich bei ihren Simulationen gleichsam nur um virtuelle Experimente, räumte Lai ein. Aber sie könnten zukünftigen Beobachtungen mit leistungsstarken Teleskopen den Weg weisen, um einzugrenzen, wo man hinblicken sollte. Das Team hofft auf weitere Puzzlestücke dieses Rätsel, wenn das Vera C. Rubin Observatory oder das Extremely Large Telescope der Europäische Südsternwarte (ESO) im kommenden Jahr fertig gestellt sein werden. (Thomas Bergmayr, 17.4.2024)