Baustelle
TU-Architekturstudierende bringen einen Caritas-Laden in Schuss. Die Herausforderungen auf einer echten Baustelle fördern mitunter verborgene Leidenschaften zutage.
Natasha Hromanchuk

Nachmittags herrscht im Secondhandladen der Caritas im Wiener Stadtteil Margareten gemütliche Stimmung. Ein Mann im Trainingsanzug begutachtet eine Sitzgarnitur, eine Frau in übergroßem T-Shirt stöbert durch eine Schallplattensammlung. Im hinteren Bereich, zwischen Schuhregalen und Kleiderständern, verpasst eine Studentin einer neu gebauten Kasse den letzten Schliff. Die Studierenden in der Lehrveranstaltung "design.build studio" an der Technischen Universität (TU) Wien konzipieren den Laden neu. Sie durchlaufen die Bandbreite eines Architekturprojekts von der Planung über die bauliche Ausführung bis zur Eröffnungsfeier.

Das sei in Architekturstudien sonst selten der Fall, sagt Peter Fattinger, der Leiter der Lehrveranstaltung: "Studierende können einen Abschluss machen, ohne jemals eine Baustelle betreten zu haben." Für die Teilnehmenden in Fattingers Kurs gehört das Anpacken hingegen dazu. Eine von ihnen ist Ina Pfeuffer, die gerade im Vorhof des Ladens einen Kaffee trinkt. Die 24-jährige Studentin will die Zusammenhänge eines Projekts verstehen lernen und mit den realen Problemen des Arbeitsalltags konfrontiert werden, erklärt sie. Dabei spricht sie sehr laut: Einige Meter entfernt hantieren zwei ihrer Kommilitonen in Schutzmontur mit einer ohrenbetäubenden Schleifmaschine.

Leerstand ausnützen

Im vergangenen Jahr haben die Studierenden auf der Baustelle geflext, geschweißt, Fliesen verlegt und silikoniert. Ina Pfeuffers Team hat eine neue Kasse entworfen und gebaut. Ihr persönliches Highlight war dabei definitiv das Schweißen, sagt sie grinsend. Denn das hätte sie sich vor dem Kurs nicht zugetraut.

Ein anderer Vorteil des Seminars steht in der vorletzten Halle des Ladens: Ein in Warnfarben bemalter Zaun mit der Aufschrift "Baubüro" trennt einen Teil des Raums ab. Hier hat Ina Pfeuffer dieses Jahr gearbeitet. Ein Luxus, denn an der TU selbst gebe es viel zu wenige Arbeitsplätze, wie sie erzählt. Die beiden Räume im Uni-Hauptgebäude seien immer überfüllt, und in einer Dependance im zehnten Wiener Gemeindebezirk müssen sich Studierende vorab um die wenigen Räume bewerben. Viele ihrer Studienkollegen weichen deswegen auf Zwischennutzungen aus – also in temporär leerstehende Gebäude.

Knappe Uni-Räume

Das ist ein Trend, der nicht nur an der TU zu beobachten ist. An der Uni Wien wurde in den vergangenen Jahren zwar die Nutzfläche der Universität immer größer, weil Büroräume für Universitätsangestellte dazukamen, erklärt eine Mitarbeiterin des Raum- und Ressourcenmanagements. Was aber fehle, seien Aufenthalts- und Lernräume für Studierende außerhalb der Lehrveranstaltungen. Immer mehr Studierende melden sich deswegen bei Institutionen wie "Kreative Räume Wien", sagt deren Geschäftsführer Uli Fries zum STANDARD. Der Hauptgrund dafür liegt auf der Hand: Zwischennutzungen bieten günstige Räume, was gerade für Studierende mit knappem Budget wichtig ist. Zudem liegt in Architektur und Stadtplanung der schonende Umgang mit Ressourcen im Trend. Studierende dieser Disziplinen interessieren sich deshalb verstärkt für Umbauprojekte, die weniger Rohstoffe verbrauchen.

Auch für Ina Pfeuffer und ihre Kolleginnen standen ökologische Ideen Pate. In der Planungsphase des Projekts entschieden sie sich, neben ihrer eigentlichen Baustelle auch gleich einen Teil des Parkplatzes zu begrünen, Sitzflächen zu schaffen und ein Lastenrad für die Caritas zu organisieren.

Heute sitzen Kunden und Angestellte auf Holzbänken in der Sonne, Pflanzen beleben den betonierten Hof. Der ressourcensparende Umgang mit städtischem Raum ist schon lange Thema bei design.build studio. Die Jahrgänge von 2013 bis 2019 entwickelten und betrieben etwa das "Mobile Stadtlabor", einen offen zugänglichen Lehr- und Lernraum aus Schiffscontainern, der in dem Zeitraum vom Karlsplatz auf die damalige Brachfläche von St. Marx wechselte.

Fest im Freien
Auch eine Eröffnungsfeier gehört dazu.
Natasha Hromanchuk

Vorlesungen in der Garage

Auch Studierende anderer Fächer wagen sich über Institutsmauern hinaus und halten dabei nach möglichen Zwischennutzungen Ausschau. In der Garage Grande, einer alten Parkgarage im Wiener Bezirk Ottakring, werden inzwischen nicht nur Bienen gezüchtet und Yogakurse von Grätzelinitiativen angeboten: Auch akademische Vorlesungen über Rechtsgeschichte und Praktikumstage der Universität für Bodenkultur haben in der Garage Einzug gehalten.

Einen großen Nachteil haben die Zwischennutzungen allerdings: Sie sind zeitlich befristet. Mitarbeitende des Stadtteilbüros konnten den Vertrag der Garage Grande verlängern, die Studierenden im Mobilen Stadtlabor mussten den Standort in St. Marx hingegen im Jahr 2019 verlassen.

Für Ina Pfeuffer war es im Herbst Zeit, ihr Projekt abzuschließen – ein Jahr auf der Baustelle des Secondhandladens ging zu Ende. Der Kurs war "wahnsinnig viel Arbeit", erinnert sie sich, als sie im September die letzten Handgriffe durchführt. Selbst in den Ferien war sie auf der Baustelle. Doch das Jahr hat die Studentin zum Handwerk inspiriert. "Jetzt will ich ein Praktikum bei einer Tischlerei machen", ruft sie über das Kreischen der Schleifmaschine hinweg. (Sarah Yolanda Koss, 8.3.2024)