Gordian Schober.
"Beim Heer kannst du jederzeit einen Neustart im Leben hinlegen", sagt Gordian Schober, auch studierter Betriebswirt.
Lea Sonderegger

Als der junge Assistenzarzt vorbeigeht, legt er die Stirn in Falten. Und dass er ein wenig skeptisch dreinschaut, liegt nicht an der eher gnadenlosen Asbest-Atmosphäre des Areals. Die Waschbetonplatten an der Fassade und das 70er-Jahre-Mobiliar im Hörsaalzentrum ist schließlich gewohnt, wer hier arbeitet oder studiert. Es ist der an diesem Ort ungewöhnliche Anblick, der den Mediziner kurz, aber eindringlich aufblicken lässt. Denn Fähnrich Schober trägt heute Uniform.

Wenn "Fähnrich Schober" Gordian Schober heißt, trägt er keine Uniform, studiert dafür aber Medizin an der Universitätsklinik beim Wiener AKH. Weil der STANDARD aber mit Kamera gekommen ist, hat er an diesem Tag Moosgrün übergestreift und das dunkelblaue Barett aufgesetzt. Denn sein Medizinstudium absolviert Fähnrich Schober sozusagen für das Bundesheer. Also schon auch für sich selbst. Aber: Die Armee sponsert sein jahrelanges Sitzfleisch mit monatlich rund 1.100 Euro. Wie das?

Ärztemangel auf Auslandseinsätzen

Gordian Schober ist einer von sechs jungen Männern, die seit Herbst 2022 ein Medizinstudium unter ganz besonderen Umständen absolvieren: auf Kosten der Republik. Denn dem Bundesheer fehlt es an "Sanitätsoffizieren", wie das im Militärsprech heißt. Also: an Ärztinnen und Ärzten für die Truppe. Sie versorgen die Armee-Angehörigen nicht nur in heimischen Kasernen. Auch und gerade in Auslandseinsätzen erfüllen sie besonders zentrale Aufgaben.

Um dem Medizinermangel in den eigenen Reihen entgegenzuwirken, hat das Heer vor eineinhalb Jahren das Ausbildungsprogramm gestartet. Das Medizinstudium soll dafür mit dem militärischen Dienst verknüpft werden. Bewerberinnen und Bewerber müssen sich zuvor für eine Kaderausbildung qualifizieren und werden vor Studienbeginn in den Rang eines Fähnrichs befördert. Im Herbst 2023 starteten weitere zehn Soldaten mit dem Heeresstipendium in ihr Medizinstudium. Auch künftig will man weiterhin mehrere Personen pro Jahr auf diesem Weg ausbilden lassen – auch Frauen werden ausdrücklich gesucht.

"Nicht der klassische Werdegang"

Für die 1.100 Euro monatlich über die gesamte Ausbildungszeit müssen die Soldatinnen und Soldaten dem Bundesheer für insgesamt 20 Jahre zur Verfügung stehen. Die Ausbildung – sechs Jahre Regelstudiendauer plus sechs Jahre Facharztausbildung – wird aber angerechnet. Für rund acht Jahre verpflichten sich die Fähnriche im Anschluss also als Militärärztinnen und Militärärzte. Danach können, aber müssen sie dem Heer nicht mehr weiter zur Verfügung stehen.

Gordian Schober startet gerade in sein viertes Semester als Medizinstudent. Aber warum hat er sich für das Modell entschieden? "Es war bei mir nicht gerade der klassische militärische Werdegang", sagt er. Der heute 34-jährige Wiener studierte nach der Schule internationale Betriebswirtschaft an der WU, arbeitete danach in einer Magistratsabteilung der Stadt Wien. Mit dem Bundesheer hatte er lange Zeit nichts am Hut. In seinem Freundeskreis aus Schulzeiten hatte die Armee eher nicht das beste Image. "Meinen Blick darauf verändert haben dann vor allem Freunde vom Sport", erzählt Schober. Denn bereits seit seiner Jugend betreibt er den Kampfsport Brazilian Jiu Jitsu – und trainiert heute bis zu fünf Mal pro Woche.

"Du darfst kein Straftäter sein"

Ein paar der Kampfsportkollegen waren Berufssoldaten beim Bundesheer. "Über sie habe ich dann andere Perspektiven auf das Heer bekommen", sagt der Fähnrich. Das führte nach Abschluss seines BWL-Studiums und ersten Berufserfahrungen zur Meldung als einjährig Freiwilliger – und engeren Banden zu den Streitkräften.

Als er vom neuen Modell des Bundesheers hörte, musste er nicht lange überlegen. Für ein Medizinstudium hat sich Schober schon in der Schulzeit interessiert, erzählt er. Damals hätte er es sich aber noch nicht zugetraut. "Heute bin ich ein ganz anderer Mensch. Ich glaube, der Reifungsprozess zum Mann ist bei mir erst um die 30 eingetreten." Und für die Aufnahmeprozesse und -prüfungen zum Medizinstudium wie zum Bundesheer gelte das faire Prinzip: Der bisherige Werdegang wird nicht betrachtet. "Natürlich darfst du kein Straftäter sein", sagt der Fähnrich. "Aber sonst kannst du beim Heer jederzeit einen Neustart im Leben hinlegen."

Finanzielle Einbußen

Vom Medizinstipendium des Heers hat ihm ein ehemaliger Kamerad erzählt. Zu vielen von ihnen hat er nämlich noch Kontakt. "Wenn du mit Leuten zusammen im Dreck gelegen bist und danach noch bis Mitternacht die Schuhe geputzt hast – das verbindet", sagt Schober.

Der Neustart bedeutet für ihn natürlich vorerst finanzielle Einbußen. Denn rund 1.100 Euro monatlich neben dem Studium sind zwar ein ganz feiner Polster für jemanden, der gerade frisch von Schule und Grundwehrdienst kommt. Aber nicht für einen 34-Jährigen mit abgeschlossenem BWL-Studium und mehrjähriger Arbeitserfahrung. Dem langfristigen Ziel, Arzt zu werden, ordnet Schober das aber in den kommenden Jahren unter.

Weiß statt Militärgrün

Und was will er machen, wenn seine Verpflichtung gegenüber dem Bundesheer endet? Trotzdem als Militärarzt weitermachen? Oder hinaus in die Selbstständigkeit? "Ich könnte mir schon vorstellen, auch darüber hinaus beim Bundesheer zu bleiben", sagt Schober. "Man kann immer noch nebenbei im zivilen Bereich arbeiten."

Vorerst macht Schober aber erst einmal Famulaturen, also jeweils vierwöchige Praktika in Krankenhäusern. Das nächste Mal in den Sommerferien. Dass es mitunter ein Bundesheersoldat ist, der eine Spritze gibt, wird dort niemanden wundern. Im Spital trägt der Fähnrich schließlich keine Uniform. (Martin Tschiderer, 5.3.2024)