Ali Abdraboh Al-Qadhi, Scheich des Murad-Stammes in Marib, ist auch der Chef des Unabhängigen Blocks im jemenitischen Parlament (4 von 299 Sitzen). Al-Qadhi war ein naher Vertrauter von Ibrahim Al-Hamadi, dem "beliebtesten Präsidenten Jemens", der 1977 ermordet wurde. In den 70er Jahren war er Vorsitzender der Nasseristischen Unionistischen Volkspartei. Nach seiner Teilnahme an einem fehlgeschlagenen Putschversuch im Jahr 1978 wurde er zum Tode verurteilt, später aber vom jetzigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh begnadigt.

Foto: Shatha Al-Harazi

Ali Abdraboh Al-Qadhi, Oppositioneller und Chef des Murad-Stammes in Marib, gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Provinz Marib. Shatha Al-Harazi traf Al-Qadhi für derStandard.at und sprach mit ihm über die kontroversielle Rolle Al Kaidas in Marib und darüber wie die Angst des Westens vor Al Kaida vom Regime instrumentalisiert wird.

derStandard.at: In welchem Ausmaß existiert Al Kaida in Marib tatsächlich?

Al-Qadhi: Ein Stamm hat am Sonntag einen Militär-Checkpoint in Marib angegriffen. Die Regierung ließ verlautbaren, dass das die Al Kaida war. Derselbe Stamm kaperte Militärpanzer und ein Polizeiauto. Warum folgte ihnen das Militär nicht? Sie waren auf offenem Gelände, keine Berge weit und breit. Wohin verschwinden die Al Kaida Mitglieder denn so plötzlich nach ihren Attacken? Haben sie Stufen in den Himmel, über die sie verschwinden, nachdem sie uns angreifen? Für mich ist das der Beweis, dass diese Leute nicht ohne Wissen des Regimes operieren.

derStandard.at: Damit wollen Sie sagen, dass es Al Kaida in Marib gar nicht gibt?

Al-Qadhi: Das ist nur das Al Kaida des Regimes.

derStandard.at: Was meinen Sie damit?

Al-Qadhi: Das Regime steuert diese Gruppen, wie es will. Wann immer es sich in irgendwelchen Schwierigkeiten befindet, benutzt das Regime Al Kaida als Mittel, den Westen und die USA zu ängstigen und sie glauben zu lassen, dass, wenn der Westen nicht für Saleh einsteht, Al Kaida den Jemen überrollt.

derStandard.at: Besteht denn die Gefahr, dass Al Kaida die Provinz Marib überrollt?

Al-Qadhi: Das wird niemals passieren, weil eben keine Gruppierung sich hier als Al Kaida bezeichnet.

derStandard.at: Was sagen Sie dazu, dass die USA ihre Sorge über den Rückzug Salehs ausgedrückt haben?

Al-Qadhi: Ich habe bedauert zu hören, dass der US-Verteidigungsminister erklärte, dass, wenn Saleh zurücktritt, der Kampf mit Al Kaida im Jemen eskalieren würde. Das entspricht nämlich einfach nicht den Tatsachen. Die Wahrheit ist: wenn das Regime weg ist, wird auch Al Kaida verschwinden.

derStandard.at: Warum nehmen die USA gegenüber dem Jemen einen anderen Standpunkt ein als gegenüber Libyen?

Al-Qadhi: Diese Frage sollten Sie dem US-Botschafter und den militärischen Beratern der USA stellen. Fragen Sie sie, warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird. 53 Demonstranten wurden letzte Woche getötet und über 600 Menschen wurden schwer verletzt. Und was ist die Antwort der USA darauf? Sie haben die Angriffe auf die Demonstranten verurteilt, während die internationale Gemeinschaft im Fall Libyens bei einer ähnlich hohen Anzahl Getöteter bereits laut über einen Militäreinsatz nachdachte.

derStandard.at: Heißt das, Sie würden internationale Truppen für den Jemen begrüßen?

Al-Qadhi: Natürlich tue ich das nicht. Alles, was ich will ist, dass man sich international gegen Saleh wendet und aufhört, der Idee anzuhängen, dass er allein die Al Kaida in Schach halten kann.

derStandard.at: Politische Analysten meinen, den USA liege daran, dass die Söhne und Neffen des Präsidenten an der Macht bleiben, weil sie Garanten für eine konstante Antiterrorismuspolitik seien. Was sagen Sie dazu?

Al-Qadhi: Sie können auf ihren Posten bleiben, wenn Saleh geht. Die Opposition hat kein Problem mit ihnen, das Problem ist, das Saleh einen Staat für sie gebaut hat. Er installierte zahlreiche Organisationen und Behörden, nur um sie mit Posten zu versorgen.

derStandard.at: Glauben Sie, dass die Menschen in Marib absichtlich die Straßen blockieren und die Stromleitungen nach Sanaa kappen, um Saleh unter Druck zu setzen?

Al-Qadhi: Nein, das waren die Banden des Regimes. Marib ist noch immer in Salehs Hand. Er will die Menschen einschüchtern, indem er sie glauben lässt, dass das Chaos ausbricht, sollte die Opposition an die Macht kommen. In Wirklichkeit schützt aber nicht die Regierung die elektrischen Leitungen, sondern die lokale Bevölkerung selbst.

derStandard.at: Als Kopf des unabhängigen Blocks im jemenitischen Parlament: wurde eine Übereinkunft mit den anderen Parteien erwirkt, wie Saleh seine Macht abgeben soll?

Al-Qadhi: Letzten Dienstag konnte ein Übereinkommen im Haus des Vizepräsidenten geschlossen werden. Anwesend waren Präsident Saleh, General Ali Mohsen al Ahmar (Befehlshaber der Ersten Panzerdivision und Halbbruder des Präsdenten, er hat sich zu Beginn der Demos mit den Demonstranten solidarisiert. Anm.), Abdellaziz Abdullghani (Kopf des parlamentarischen Beratungsgremiums, Anm.), der politische Berater Abdulkarem Al-Irani und von der Opposition Yaseen Saeed Noman und Mohammed Al-Yadumi. Sie stimmten einem Vorschlag des Generals zu, wonach der Präsident einen neuen Vizepräsidenten ernennen solle, dem er die Macht übergibt. Danach sollte eine Übergangsregierung ernannt werden und am Samstag der Rücktritt Salehs erfolgen. Aber nichts passierte.

derStandard.at: Warum nicht?

Al-Qadhi: Weil Saleh sah, wie viele bezahlte Unterstützer er versammeln konnte, glaubte er, doch länger bleiben zu können. Sie so genannten Unterstützer waren allerdings Mitglieder der Sicherheitsbehörden, öffentliche Angestellte und andere, die von den Zuwendungen des Regimes abhängig sind. Wir wissen, dass fast acht Milliarden Rial (ca. 26 Millionen Euro) an Staatsgeldern ausgegeben wurden, um diese Kundgebungen zu organisieren.

derStandard.at: Haben Sie diese Ausgaben im Parlament angesprochen?

Al-Qadhi: Das Parlament kommt nicht mehr zusammen seit der Unabhängige Block und die Oppositionsparteien sowie 130 Mitglieder der regierenden Parteien zurückgetreten sind. (Shatha Al-Harazi, derStandard.at, 31.3.2011)