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"Das Wort „Scheitern" würde ich allerdings nicht in den Mund nehmen."

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"Man sollte also viel mehr auf vorsichtigere diplomatische Initiativen zurückgreifen, weil die eher zu Ergebnissen führen."

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Kai Eide über das Karzai-Regime: "Die Regierung besteht aus ein paar sehr guten Ministern, ist aber gleichzeitig stark zersplittert."

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"Wir tendieren dazu, Entscheidungen zu treffen und Strategien zu entwickeln, ohne die Afghanen miteinzubeziehen."

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Kai Eide mit US-Außenministerin Hillary Clinton.

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Über seinen Kritiker Galbraith: "Er redet Mist und das weiß er auch. Dieser Mann muss vor sich selbst beschützt werden."

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Das Fazit fiel negativ aus: Kai Eide, der scheidende Uno-Sondergesandte für Afghanistan und Leiter der UN-Mission in Afghanistan (Unama), hat mit Ende seiner Amtszeit Anfang März dem Westen und der Regierung des Landes Fehler im Friedensprozess vorgeworfen. Die Regierung, die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die internationalen Streitkräfte und auch er selbst hätten mehr erreichen können, gab er zu. Nach zwei Jahren räumte der Norweger seinen Posten - freiwillig, wie er betont. Ende vorigen Jahres hatte sein damaliger Stellvertreter, der US-Diplomaten Peter Galbraith, Eide vorgeworfen, die Augen vor massiver Wahlfälschung bei den afghanischen Präsidentschaftswahlen im August verschlossen zu haben. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte Galbraith daraufhin Anfang Oktober "im besten Interesse" der UNAMA-Mission entlassen. Eide wies die Anschuldigungen stets zurück. Im Gespräch mit derStandard.at zieht der Norweger Bilanz über den Einsatz am Hindukusch, spricht darüber, was die afghanische Regierung verabsäumt und die internationalen Streitkräfte falsch gemacht haben.


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derStandard.at: In Ihrer letzten Pressekonferenz in Kabul haben Sie schwere Versäumnisse bei den Friedensbemühungen in Afghanistan eingeräumt. Ein entscheidender Erfolg innerhalb von ein oder zwei Jahren sei angesichts der Konflikte nicht zu erreichen. Ist die Mission in Afghanistan gescheitert?

Kai Eide: Wenn ich von der Mission rede, dann meine ich nicht nur die Mission der Vereinten Nationen, sondern den Einsatz aller in Afghanistan. Wenn wir den negativen Trends in diesem Jahr nicht entgegensteuern, dann, befürchte ich, wird das zu noch mehr Zersplitterung in dem Land führen, was noch mehr Schwierigkeiten mit sich zieht. Das Wort "Scheitern" würde ich allerdings nicht in den Mund nehmen. Ich glaube daran, dass wir etwas bewirken können, aber die Trends sind gefährlich und sie haben eine gewisse Dynamik bekommen. Ich sage nicht, dass es 2010 noch zu einer Lösung des Konflikts kommen wird, aber die Afghanen müssen dennoch sehen können, dass sich bestimmte Entwicklungen wieder verändern.

derStandard.at: Von welchen "Trends" sprechen Sie?

Eide: Die Rebellen erfahren immer mehr Zulauf. Das führt dazu, dass der gesamte Einsatz in Frage gestellt wird, in der öffentlichen Meinung und innerhalb der Bevölkerung. Der Konflikt hat sich verschärft und die Zweifel an der Qualität der Regierung werden immer größer. Es werden zu wenige Ressourcen und zu wenig Priorität auf langfristige zivile statt militärische Maßnahmen gesetzt. Institutionen müssen geschaffen und die Wirtschaft muss angekurbelt werden, damit die Abhängigkeit am Ausland verringert wird. Die Bevölkerung ist unschlüssig darüber, ob sie der internationalen Gemeinschaft und der Regierung Glauben schenken soll, dass die Regierung bleiben wird und die Taliban nicht zurückkommen.

derStandard.at: Vergangenen Jänner sollen Sie am Rande der Afghanistan-Konferenz in London Gespräche mit den Taliban geführt haben ...

Eide: Das waren Gerüchte, die zirkulierten, die aber nicht wahr sind.

derStandard.at: Das waren UNO-Angaben. Sie sind nicht wahr? Sie hatten also keinen Kontakt zu den Taliban?

Eide: Ich war schon mit Taliban in Kontakt, aber es gab Ende Jänner kein Treffen.

derStandard.at: Was für eine Art Kontakt hat es gegeben?

Eide: Verschiedenen Arten von Kontaktaufnahmen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

derStandard.at: Worum ging es dabei?

Eide: Ich kommentiere das nicht weiter.

derStandard.at: Beide Seite, die Regierung wie auch die Taliban, bestreiten vehement Verhandlungen. Gibt es Kontakte zwischen der Regierung und hochrangigen Vertretern der Taliban wie etwa mit Mullah Abdul Ghani, dem Stellvertreter von Mullah Mohammed Omar, Anführer der Taliban in Afghanistan?

Eide: Da müssen Sie wohl den Angaben der afghanischen Regierung Glauben schenken, die wissen das jedenfalls besser als ich. Ich kommentiere das nicht weiter.

derStandard.at: Sie haben in einem Gastkommentar für die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit Ende Februar geschrieben, man solle vorsichtig sein mit lauten, diplomatischen Vorstößen in Richtung Taliban. Beinhaltet das auch, in den Medien nicht über Verhandlungen zu sprechen?

Eide: Laute und öffentliche Aufforderungen an die Aufständischen, sich am Prozess der Versöhnung zu beteiligen, stoßen in der Regel auf Widerstand. Jede Einladungen vonseiten des Präsidenten oder von anderen an die Taliban führt immer zu Spekulationen in den Medien. Das wiederum führt dazu, dass diese Einladungen automatisch abgelehnt werden - auch von den Taliban. Man sollte also viel mehr auf vorsichtigere diplomatische Initiativen zurückgreifen, da die eher zu Ergebnissen führen.

Ich möchte damit nicht die Medien kritisieren, und natürlich zieht das Thema viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber die Aufmerksamkeit zwingt oft auch die Hauptakteure dazu, Verhandlungen zu verneinen oder gar abzulehnen. Das ist ein sehr heikles und extrem empfindliches Thema, bei dem man so diskret wie möglich sein muss. Je mehr Statements und öffentliche Diskussionen es darüber gibt, desto schwieriger macht das die gesamte Situation.

derStandard.at: Der ehemalige pakistanische Spionage-Chef Hamid Gul, der auch schon als "Vater der Taliban" bezeichnet worden ist, meinte laut CNN, dass Gespräche mit dem Taliban-Führer Mullah Omar Frieden bringen könnten. Stimmen Sie mit Gul überein?

Eide: Ich rede in diesem Zusammenhang nie über bestimmte Personen. Ich sage nicht, dass man mit Omar reden muss. Aber man muss mit den Leuten reden, die Autorität haben.

derStandard.at: Sie haben in Ihrer letzten Pressekonferenz vehement dafür plädiert, das Gespräch mit den Taliban zu suchen, um mit dem Friedens- und Aussöhnungsprozess im Land voranzukommen. Mit wem genau sollen diese Verhandlungen geführt werden? Gibt es so etwas wie moderate Taliban?

Eide: Ich glaube, es gibt Taliban, die Interesse daran haben, Verhandlungen zu führen.

derStandard.at: Das macht einen "moderaten Taliban" aus?

Kai Eide: Nein, ich benütze diese Bezeichnung nicht, weil sie irreführend sein kann. Es gibt Vertreter der Taliban, die an Verhandlungen interessiert sind. Die Einbeziehung der Aufständischen ist ein wichtiger Punkt, wenn wir wollen, dass diese Art von politischem Prozess anfängt. Ich glaube nicht daran, dass dieser Konflikt mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Deswegen brauchen wir politische Verhandlungen und dafür sollte man das Gespräch mit den Taliban suchen.

derStandard.at: Matthew Hoh, Ex-Zivilbeamter in Afghanistan, hat in einem Interview mit derStandard.at gesagt, die Taliban müssten in die Regierung kommen, damit Frieden herrschen könne. Stimmen Sie damit überein?

Eide: Das möchte ich nicht kommentieren. Es geht darum, zu definieren, wer man ist und was man erreichen möchte. Im Mittelpunkt müssen dabei die Akzeptanz und der Respekt vor der afghanischen Verfassung stehen. Die von Präsident Hamid Karzai geplante große Stammesversammlung (Loya Jirga) könnte ein Instrument sein, um den Friedensprozess voranzutreiben und dabei auch lokale religiöse Führer für den politischen Prozess zu mobilisieren.

derStandard.at: Ist die Idee eines Re-Integrationsfonds für ehemalige Taliban-Kämpfer, um Aufständische finanziell abzuwerben, der richtige Schritt?

Eide: Ich glaube wirklich nicht, dass Geld alleine, also ohne das Miteinbeziehen in den politischen Prozess, etwas bewirken kann. Viele sind der Meinung, dass der größte Teil der Taliban sich wegen der finanziellen Anreize rekrutieren lässt. Ich glaube nicht, dass das stimmt.

derStandard.at: Sondern aus ideologischer Überzeugung heraus?

Eide: Ja, das und wegen Betrügereien vonseiten Teilen der Regierung, die keinen Respekt vor dem Gesetz haben, die weit verbreitete Korruption, die Tatsache, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft als Invasion angesehen wird, und der mangelnde Respekt den Afghanen gegenüber sind die Hauptgründe.

derStandard.at: Ist es nicht prinzipiell bedenklich, reuigen Taliban Geld für den Ausstieg anzubieten, die zuvor Menschen, Soldaten wie auch Zivilisten, getötet haben? Die australische Tageszeitung "The Australian" zitierte Ende Jänner Kritiker in Afghanistan, die vor einer "moralischen Gefahr" warnten und meinten, dass die Aufständischen damit gewissermaßen belohnen werden?

Eide: Ich glaube nicht an den Erfolg einer solchen Aktion. Die finanziellen Anreize können nicht das einzige Mittel sein, es braucht den politischen Prozess.

derStandard.at: Sie haben der internationalen Gemeinschaft im Umgang mit den Afghanen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Der Westen habe sich in der Vergangenheit auf eine Weise verhalten, die die Afghanen als "respektlos und manchmal erniedrigend" empfunden hätten.

Eide: Wir tendieren dazu, Entscheidungen zu treffen und Strategien zu entwickeln, ohne die Afghanen miteinzubeziehen. Das muss ein Ende finden, wir müssen einen respektvolleren Umgang pflegen und den Afghanen mehr zuhören, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Das Problem betrifft dabei nicht nur das Militär, sondern auch die zivile Seite. Was die Streitkräfte betrifft, hat es durch Übereinstimmungen mit General Stanley McChrystal (Kommandeur der US-Streitkräfte sowie der International Security Assistance Force, ISAF, Anm.) bereits Verbesserungen gegeben in ihrem Verhalten. Aber es geht um unser ganzes Verhalten den Afghanen gegenüber.

derStandard.at: Auch nach der jüngsten Offensive in Marjah gab es Beschwerden vonseiten der Bevölkerung.

Eide: Ja, wir verhalten uns auf eine Weise, die die Afghanen als respektlos ihrer Kultur, Religion und Tradition gegenüber verstehen. Diesen Trend gab es, aber es gibt Verbesserungen und auch die Anzahl der zivilen Todesopfer in militärischen Operationen ist zurückgegangen. Es ist ein generelles Problem, dass wir die Gesellschaft zu wenig kennen. Das betrifft nicht nur die US-Armee. Manche verhalten sich besser, manche schlechter, aber es ist ein allgemeines Problem.

derStandard.at: Die afghanische Regierung hat vergangenen Dienstag erstmals offiziell bestätigt, dass ein von Menschenrechtlern heftig kritisiertes Amnestiegesetz in Kraft getreten ist, nachdem alle Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die in den Jahrzehnten des Bürgerkriegs vor dem Ende der Taliban-Herrschaft 2001 verübt wurden, ungesühnt bleiben. Ist das in Ihren Augen nicht ein Schlag ins Gesicht für die Bevölkerung?

Eide: Das war ein sehr dubioser rechtlicher Schritt, über den ich sehr verwundert war. Damit wird per Gesetz eine Atmosphäre geschaffen beziehungsweise verschärft, in der sich eine Kultur von Straflosigkeit ausbreiten kann. Die Regierung hat sich an die internationalen Menschenrechte zu halten. Amnestie kann als Instrument für Versöhnung eingesetzt werden, aber sie ist nicht dazu da, schwere Verbrechen einfach wieder ungeschehen zu machen.

derStandard.at: Bewirken "vertrauensbildenden Maßnahmen" wie das Streichen von Taliban-Führern von der UN-Terrorliste oder die Freilassung von Gefangenen etwas?

Eide: Das sind Schritte, mit denen den Taliban gezeigt werden kann, dass sie etwas tun müssen, damit ihnen im Gegenzug etwas angeboten wird. Ein Beispiel: Mullah Omar hat in seinem Statement nach der Londoner Konferenz gesagt, dass alle Afghanen ein Recht auf Bildung haben. Wir haben ihm gesagt, dass er dafür aufhören muss, Schulen anzugreifen. Dass er Kliniken nicht angreifen oder etwa Konvois mit Nahrungsmitteln in die von den Taliban kontrollierten Gebiete hineinlassen soll. Es gibt eine Menge Dinge, die die Taliban tun können, um ihr Interesse an einem Dialog zu demonstrieren.

derStandard.at: Die Kritik an Präsident Karzai mehrt sich und wird immer lauter. Verlieren die, die ihn unterstützen, allmählich an Glaubwürdigkeit?

Eide: Ich kommentiere nichts, was Karzai spezifisch betrifft. Die Regierung besteht aus ein paar sehr guten Ministern, ist aber gleichzeitig stark zersplittert. Wenn man erfolgreich sein will, heißt das nicht nur, dass sich die internationale Gemeinschaft korrekt verhalten muss. Auch die afghanische Regierung muss größere Bereitschaft zeigen, schwierige Entscheidungen zu treffen. Es geht nicht nur darum, dass wir ihnen sagen müssen, Verantwortung zu übernehmen, es geht auch darum, dass sie diese Verantwortung übernehmen. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie das bisher hinreichend gemacht haben.

derStandard.at: Sie haben im Dezember bekanntgegeben, ihr Mandat nicht verlängern zu wollen. Peter Galbraith hat ihnen vorgeworfen, nicht freiwillig diese Entscheidung getroffen zu haben und dass ihr Amtsende mit den Betrugsfällen während der Präsidentschaftswahl zusammenhänge. Wieso sollte Galbraith das behaupten?

Eide: Weil er noch immer nichts Besseres zu tun hat. Er hat noch immer keinen neuen Job und ist noch immer auf einem Rachefeldzug, weil er gefeuert worden ist. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich zwei Jahre bleiben werde. Das ist eine normale, übliche Zeitdauer, die ich vor zwei Jahren freiwillig beschlossen habe. Galbraith ist noch immer verbittert darüber, was passiert ist. Eine Gegenfrage an Galbraith: Warum sollte ich dazu gezwungen worden sein?

derStandard.at: Weil Sie unter Druck geraten sind, nachdem Sie die Beziehung zu Karzai über ehrliche Wahlen gestellt haben?

Eide: Der einzige, der sich diskreditiert hat, ist Galbraith. Er redet Mist und das weiß er auch. Dieser Mann muss vor sich selbst beschützt werden. Es ist kein Kampf zwischen ihm und mir; die gesamte internationale Gemeinschaft war gegen ihn und stand hinter mir. Deswegen wurde er auch gefeuert. Ich hatte nach seinen Vorwurf die Unterstützung der gesamten internationalen Gemeinschaft. Herrn Galbraith nimmt schon lange niemand mehr Ernst. (Anna Giulia Fink, derStandard.at, 18.3.2010)