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Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Syriens Präsident Bashar al-Assad im Mai 2010. Damals war Medwedew zu Gast in Damaskus.

AP Photo/Hussein Malla

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Syrische Soldaten, die zur Free Syrian Army übergelaufen sind, in Khalidieh (in der Nähe von Homs).

Foto: REUTERS/Stringer

Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Foto: SWP

Syriens Machthaber Bashar al-Assad hat praktisch all seine Verbündeten verloren. Lediglich Russland steht noch hinter dem Diktator und versorgt ihn sowohl mit Munition als auch mit neuen Kampfjets. Für kurze Zeit schien es, als könnte Russland von diesem Kurs abkommen. Der Nahost-Beauftragte von Russlands Präsident Dmitri Medwedew, Michail Margelow, forderte von Assad Reformen. Auch eine Annäherung Russlands an die westlichen Staaten im UNO-Sicherheitsrat stand im Raum. Doch am Freitag wurde bekannt, dass Russland auch den jüngsten UNO-Resolutionsvorstoß der Arabischen Liga blockieren würde. derStandard.at hat Russland-Expertin Margarete Klein von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik zum Syrien-Kurs der russischen Regierung befragt.

derStandard.at: Russland liefert Militärflugzeuge und Munition an das syrische Assad-Regime, gleichzeitig mehren sich die Zeichen, dass auch Russland nicht mehr bedingungslos hinter Assad steht. Wie ist die Position Russlands zu Syrien?

Klein: Für Russland ist es ein Drahtseilakt. Einerseits ist Russland die Schutzmacht des herrschenden Regimes. Die ökonomischen und politischen Interessen Moskaus sind sehr eng mit dem Überleben des Assad-Regimes verbunden. Auf der anderen Seite droht Russland in den Sog der Selbstisolation Syriens in der Region gezogen zu werden. Um das zu verhindern, ist Moskau auch gezwungen, zumindest nach außen einen gewissen Druck auf das syrische Regime auszuüben. Im Moment fährt Russland aber insgesamt noch einen starken Assad-Unterstützungskurs.

derStandard.at: Warum steht Russland zu Assad, während man Gaddafi sehr schnell fallen gelassen hat? Oder anders gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Syrien und Libyen?

Klein: Mit Libyens Machthaber Gaddafi war die russische Führung politisch eigentlich nie besonders eng. Gaddafi war ein ökonomischer Partner, mit dem man in der Rüstungsindustrie zusammengearbeitet hat. Aber es war nie ein enger strategischer Partner, wie das bei Syrien der Fall ist. Russland hat nach dem Zerfall der Sowjetunion den Großteil seiner Verbündeten im Nahen Osten und in Nordafrika verloren. Es ist eigentlich nur Syrien übrig geblieben, das dieser Rolle am nächsten kommt. Syrien unterstützte Russland auch in schwierigen Fragen, zum Beispiel beim Tschetschenien- oder beim Georgien-Krieg. Syrien ist für Russland auch ein geopolitisches Gegengewicht zur amerikanischen Dominanz im Nahen Osten. So eine Position hat Libyen für Russland nie innegehabt.

derStandard.at: Hat die Libyen-Krise Auswirkungen auf das russische Verhalten im Syrien-Konflikt?

Klein: Russland gab sich zu Beginn der Libyen-Krise recht konziliant und hat sich im UN-Sicherheitsrat enthalten. Damit wurde die Militäroperation der westlichen Staaten erst ermöglicht. In der russischen Wahrnehmung ist es aber so, dass man dafür nachher überhaupt nichts bekommen hat und der Verlierer war. Die Vorstellung, dass der Westen eine Resolution, die für eine Flugverbotszone gedacht war, zu einem "Regime Change"-Mandat ausweitet, ist etwas, das aus russischer Sicht nicht mehr wiederholt werden soll. Deshalb ist die Lehre daraus, gar nicht erst den kleinen Finger hinzustrecken, sondern abwartend und zurückhaltend zu sein. Auf der anderen Seite versucht Russland schon längst, Kontakte mit der syrischen Opposition zu knüpfen, um eben nicht wie in Libyen den Fehler zu machen, nach einem Machtwechsel alles zu verlieren.

derStandard.at: Wie verändert sich die geostrategische Position Russlands im Nahen Osten, wenn Assad fallen sollten?

Klein: Für Russland wäre das ein herber Verlust an politischem Einfluss in der Region. Russland könnte genötigt sein, eine stärkere Bindung zum Iran einzugehen. Das würde bedeuten, dass sich das russisch-westliche Verhältnis weiter verschlechtert und russische Versuche, mit den Golfmonarchien ökonomisch und politisch stärker zusammenzuarbeiten, zum Scheitern verurteilt sind. Das ist für Russland sicherlich keine erstrebenswerte Position. Russland wäre im Nahen Osten durch einen Fall des Assad-Regimes stark geschwächt.

derStandard.at: Gibt es eine Art inoffizielle russische Strategie? Syrische Oppositionelle wurden ja in Russland wie vorhin erwähnt bereits empfangen.

Klein: Ich weiß gar nicht, ob Russland so stark einlenken wird. Es wird versuchen, den Druck auf Assad sanft zu erhöhen. Es gibt ja den russischen Vorschlag zu einer UN-Resolution, die aber sehr soft gehalten ist. Da wird der Opposition die gleiche Schuld zugewiesen wie der syrischen Regierung. Es fehlt auch jeder Hinweis auf Sanktionen. Das ist eher eine Art von Verzögerungstaktik und der Versuch, Russland in den Augen der anderen Staaten als konstruktiven Akteur erscheinen zu lassen. Aber ich glaube, das ist noch kein wirkliches Einlenken hin zu einer Genehmigung von Sanktionen. Russland versucht, den Druck auf Assad sanft zu erhöhen. Präsident Medwedews Afrika-Beauftragter Michail Margelow etwa forderte die syrische Regierung erst kürzlich auf, endlich die versprochenen Reformen durchführen. Da macht sich eine gewisse Frustration Russlands über das Verhalten der syrischen Führung bemerkbar.

derStandard.at: Russland hat angekündigt, die Resolution der Arabischen Liga im UNO-Sicherheitsrat abzulehnen, in der Assad zum Rücktritt aufgefordert wird. Kommt das für Sie überraschend?

Klein: Das kommt nicht überraschend. Es war klar, dass die russische Seite einer harschen Verurteilung oder Sanktionen des Regimes nicht zustimmen wird. Der eigene Vorschlag war auf eine softere Variante ausgerichtet.

derStandard.at: Russland wählt im März einen neuen alten Präsidenten. Wirkt sich dieser innenpolitische Aspekt auch auf die Außenpolitik aus?

Klein: Das ist ein verschärfender Faktor. In der Libyen-Frage hat sich Präsident Medwedew zur Resolution 1973 enthalten. Das ist innenpolitisch sehr stark umstritten gewesen, unter anderem von Premier Putin. Jetzt, wo Putins Ratings ja eher fallen, fährt er eine antiwestliche Rhetorik und plädiert für eine selbstbewusste Außenpolitik. Das macht er, um das klassische Wählerpotenzial an sich zu binden. Ich glaube, dass man zumindest bis März auch aus innenpolitischen Gründen nicht unbedingt eine weiche russische Haltung erwarten kann.

derStandard.at: Welche Rolle spielt in diesem Konflikt das russische Militär? Die Marine unterhält ja eine Basis im syrischen Tartus.

Klein: Die russische Militärbasis in Tartus ist für Russland extrem wichtig, wenn Russland im Mittelmeer und am Horn von Afrika weiterhin längerfristig präsent sein will. Das wiederum ist wichtig, damit Russland nach außen seinen Großmachtanspruch wahren kann. Das ist die einzige Basis, die Russland außerhalb des postsowjetischen Raumes hat. Sie wird seit 2008 ausgebaut und soll bis 2012 auch für schwere Schiffe befahrbar sein. Was ich nicht glaube, ist, dass Russland sich militärisch direkt aufseiten Syriens engagieren würde. Man hatte in der Vergangenheit eine enge Kooperation in puncto Ausbildung und Waffenlieferungen, und Russland hat in der letzten Woche ja auch deutlich gemacht, dass es neue Waffen liefern wird – die angesprochenen Jak-Militärjets. Offiziell sind sie zu Trainingszwecken, aber man kann die natürlich auch ausstatten und dann einsatzbereit machen.

derStandard.at: Wie, glauben Sie, wird es in Syrien in den nächsten Monaten weitergehen?

Klein: Das ist schwer zu sagen. Es sind verschiedene Szenarien denkbar: dass Assad die Lage wieder unter Kontrolle bekommt, dass er gestürzt wird oder dass es zu einem langen Bürgerkrieg kommt. (flog, derStandard.at, 27.1.2012)