Für Johnsons Abschiedsrede in der abgesperrten Downing Street hatten sich hunderte Mitarbeiter, Abgeordnete, Fotografen und Reporter versammelt.

Foto: AP/Alberto Pezzali

London – Liz Truss hat offiziell die Nachfolge von Boris Johnson als Premierministerin angetreten. Die bisherige Außenministerin wurde von Queen Elizabeth II in Schottland in einer privaten Audienz zur Premierministerin ernannt. Die Queen beauftragte Truss mit der Bildung einer neuen Regierung, wie der Buckingham-Palast mitteilte.

Truss ist nach Margaret Thatcher und Theresa May die dritte Frau an der Spitze der britischen Regierung. Sie bezieht die Downing Street 10 in einer kritischen Phase: Großbritannien ist mit einer galoppierenden Inflation konfrontiert und droht, in eine Rezession zu stürzen. Millionen Britinnen und Briten haben Angst, im bevorstehenden Winter ihre Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und den Brexit. Truss hat Steuerkürzungen versprochen und angekündigt, als eine ihrer ersten Maßnahmen einen Plan zur Bewältigung der Energiekrise vorzulegen.

Schwieriger Spagat für Truss

Erwartet wird, dass Truss schon bald die Umrisse eines Plans vorlegt, mit dem der enorme Anstieg der Lebenshaltungskosten abgefedert werden soll. Einem Bericht der Boulevardzeitung "Sun" zufolge will Truss die Preise für Gas und Strom einfrieren – ein Vorhaben, das den britischen Staat laut dem Bericht mindestens 40 Milliarden Pfund (46,32 Milliarden Euro) kosten dürfte. Sollte Truss gleichzeitig an ihren Ankündigungen festhalten, Steuern zu senken, dürfte das zu einem schwierigen Spagat werden. Hinzu kommen die Probleme des chronisch unterfinanzierten Gesundheitsdienstes NHS und massive Unzufriedenheit im öffentlichen Sektor über Löhne und Gehälter.

Energetische Unterstützung von Johnson

Der scheidende Premier Johnson hat seiner Nachfolgerin "nichts als energische Unterstützung" versprochen. Das sagte der konservative Politiker am Dienstag bei einer letzten Rede in der Downing Street. Zugleich ließ der 58-Jährige durchblicken, dass er unzufrieden mit seinem erzwungenen Aus ist.

Mit dem Auftritt in der Früh nahm Johnson nach gut drei Jahren vorerst Abschied von der Regierungsspitze. Spekulationen über ein Comeback tat der ehemalige Premier gewohnt humorvoll ab, jedoch nicht ohne Zweifel daran zu lassen, wie ernst er es damit meint. "Lassen Sie mich sagen, dass ich nun wie eine dieser Trägerraketen bin, die ihre Funktion erfüllt haben und sanft wieder in die Atmosphäre eintreten und unsichtbar irgendwo in einem entfernten Teil des Pazifiks versinken", sagte Johnson.

Audienz bei Queen zur Amtsentlassung

Johnson zählte noch einmal die tatsächlichen und angeblichen Errungenschaften seiner Regierungszeit auf – darunter den Brexit, die rasche Verteilung von Corona-Impfstoffen, die frühe Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen sowie die Bekämpfung von Kriminalität und den Bau neuer Krankenhäuser.

Im Anschluss stieg er mit seiner Frau Carrie in einen Wagen und machte sich auf den Weg nach Schottland. Um die Mittagszeit traf er zu einer Audienz bei Königin Elizabeth II im Schloss Balmoral ein, wo er um seine Entlassung bat. Unmittelbar danach wurde Truss von dem 96 Jahre alten Staatsoberhaupt mit der Regierungsbildung beauftragt. Truss will sich am Nachmittag ebenfalls aus der Downing Street an die Nation wenden.

Truss setzte sich gegen Ex-Finanzminister durch

Die Queen hält sich traditionell von Mitte Juli bis Mitte September auf ihrem schottischen Landsitz Schloss Balmoral auf. Dass sie die Politiker nicht im Buckingham-Palast in London empfängt, hat mit ihren Mobilitätsproblemen zu tun. Während ihrer Regentschaft hat sie nun drei Frauen und zwölf Männer in der Downing Street 10 erlebt.

Truss wurde am Montag nach einem wochenlangen parteiinternen Auswahlprozess zur Parteichefin der Tories gekürt. Die bisherige Außenministerin hatte sich zuvor bei der Abstimmung unter den etwa 170.000 Parteimitgliedern gegen Ex-Finanzminister Rishi Sunak durchgesetzt. (APA, 6.9.2022)