Grundsatzdebatte über Aufgabe und Angebot angezeigt: der ORF auf dem Wiener Küniglberg.

Foto: Imago / Sepa Media Martin Juen

ORF-General Roland Weißmann beschrieb seinen Stiftungsräten ein Drohszenario: Bekommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk 2023 nicht mehr öffentliches Geld, dann sei das aktuelle ORF-Angebot ab 2024 trotz Sparbemühungen so nicht mehr finanzierbar. Dann, so Weißmann, sei vieles "infrage gestellt". Das ist nicht nur ein Drohszenario. Das ist eine gute Idee.

660 Millionen Euro budgetierte der ORF für 2022 aus GIS-Gebühren. Das sind gesicherte Einnahmen für den ORF, gut ein Drittel mehr, als selbst der größte private Medienkonzern pro Jahr einnimmt. Es ist ein Vielfaches aller – zuletzt deutlich aufgestockten – Medienförderungen für Private und informellen Medienförderungen über öffentliche Werbebuchungen. Mit seinen Werbeeinnahmen ist der ORF insgesamt mehr als doppelt so groß wie die größten Privaten.

Infrage stellen

Im Tausch für die Gebühren erteilt das Gesetz dem ORF einen öffentlichen Auftrag von umfassender, verlässlicher Information bis Unterhaltung, von Sport bis Kultur, von Bildung bis Nachhaltigkeit. Es erlaubt dem ORF vier TV-Kanäle, zwölf Radioprogramme, ORF.at, eine TVthek und – noch – keine Streamingproduktionen. Die wünscht sich der ORF, und mehr Social-Media-Präsenz. Mit der gleichen Novelle, die ihm seine künftige Finanzierung sichern soll. Höher als bisher, damit sein bisheriges Angebot nicht "infrage gestellt" wird.

Genau das sollte der ORF nun tun: sein über Jahrzehnte stets erweitertes Angebot und seine Strukturen hinterfragen. Wenn er jetzt – sicher nicht zu früh – auch streamen will, um jüngere Zielgruppen zu erreichen.

Viele Fragen: Landesstudios, Orchester, TV-Kanäle, Stiftungsrat

Da stellen sich viele nicht ganz neue Fragen: Braucht der ORF für die – unbestritten wesentliche – regionale Berichterstattung neun kleine ORFs für jedes Bundesland, mit neun Direktoren und Strukturen? Oder sind sie nur einigen Landeshauptleuten wichtig? Soll ein Medienunternehmen 2022 ein noch so großartiges Symphonieorchester betreiben? Oder wäre das in einer anderen, gern öffentlichen, Organisationsform besser aufgehoben? Braucht der ORF ein Fernsehprogramm, das sich um jenes jüngere Publikum müht, das ohnehin längst lieber streamt? Braucht der ORF all seine regionalen und nationalen Radiokanäle in der bisherigen Form – oder kann er manche der Zielgruppen nicht im Stream besser erreichen? Ist der ORF in seiner in viele Richtungen gewachsenen Form noch sinnvoll organisiert? Hier hat der neue General Weißmann mit den eigenwillig aufgeteilten Direktionen seines Vorgängers eine Gelegenheit versäumt. Will sich der ORF nicht langsam von seiner Vielklassengesellschaft mit einem halben Dutzend Kollektivverträgen verabschieden? Und: Ist es im Sinne der per Verfassungsgesetz vorgeschriebenen Unabhängigkeit, dass die große Mehrheit in ORF-Entscheidungsgremien (partei)politisch besetzt wird?

Man kann – theoretisch jedenfalls – zum Schluss kommen, dass all das sinnvoll ist und vorbildlich dem öffentlich-rechtlichen Auftrag dient, für den es den ORF gibt. Aber erst gilt es, all diese Fragen und noch viele mehr ernsthaft zu stellen. Dann entlang der Antworten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Aufgaben zeitgemäß und zukunftsorientiert und so unabhängig von Politik und anderen Interessen wie möglich zu definieren – und daraus einen zeitgemäßen ORF zu konstruieren. Dann auch mit einer abgesicherten, angemessenen Finanzierung. (Harald Fidler, 27.11.2022)