Lektion eins des Bienenbettes: Die Tierchen haben eine Nachtschicht. Auch am allerspätesten Abend summt es aus dem Bienenstock, während draußen der Herbstregen trommelt. Auf vier nebeneinanderliegenden Bienenstöcken ist eine Liege samt Matratze gezimmert, eine Holzkonstruktion in der Form eines riesigen Telefonhörers leitet den Sound aus dem Stock direkt nach oben ins Ohr. Das niederfrequenzige Brummen lässt den Besucher entspannt dahinschmelzen. Als wüsste der Körper: Wo Bienen sind, ist es gut.

Slowenien ist ein Land der Imker. Jeder 200. Einwohner pflegt Bienen.
Slowenien ist ein Land der Imker. Jeder 200. Einwohner pflegt Bienen.
Stefan Schauhuber

Für die Bienen selbst ist es in Slowenien besonders gut. Österreichs südlicher Nachbar zelebriert die Imkerei wie kein zweites Land, jeder 200. Einwohner pflegt Bienen. Für die Menschen Sloweniens sind die Bienen nicht nur Honiglieferant. Hier sind die Insekten Vertraute, Therapeuten, Maskottchen – und manchmal Sorgenkinder.

Brot im Bienenstock

Andreja Stankovič ist Imkerin in fünfter Generation, sie hat zu jedem Urahnen eine Bienengeschichte. Die Urgroßmutter schenkte dem Großvater zur Hochzeit ein Bienenhaus, der Urgroßvater der anderen Seite legte sich in sein Bienenhaus, wenn es ihm schlecht ging, die Mutter wollte einfach nur, dass es beim Mittagessen einmal nicht um Bienen geht. "Imkerin ist eine Diagnose", sagt Stankovič. Ihre 33-jährige Tochter Tjaša ist die sechste Generation, sie hält ihre Bienen auf dem Balkon ihrer Wohnung. "Als Kind wollte sie einmal die Bienen füttern", erzählt ihre Mutter. "Als ich zurückkam, lag ein Stück Brot im Bienenstock."

Andreja Stankovič vor ihrem Bienenhaus. Noch sind nicht alle Bienenstöcke bewohnt.
Andreja Stankovič vor ihrem Bienenhaus. Noch sind nicht alle Bienenstöcke bewohnt.
Stefan Schauhuber

Bienenpalast

Im Rest der Welt stehen Bienenstöcke meist frei in der Natur, in Slowenien bekommen sie ein Holzhaus. Stankovič hat nahe dem Zentrum der Kleinstadt Novo Mesto ein solches Bienenhaus mit 39 Bienenstöcken und einem bunten Garten, der ihren Schützlingen ein abwechslungsreiches Pollenmenü garantiert. Die Bienenstöcke sind in eine Außenwand integriert, so kann Stankovič von innen wettergeschützt nach den Tieren schauen. Die können auf der anderen Seite jederzeit rein- und rausfliegen – am liebsten in der Früh, weshalb die Stöcke meist gen Südosten zeigen.

"Imkerin ist eine Diagnose" – Andreja Stankovič, Imkerin in fünfter Generation

Der Imkerhut neben der Eingangstür ist nur Dekoration, Schutzkleidung verwendet Stankovič nicht. Am Anfang musste sie wegen jeden Stichs zum Arzt, mittlerweile schwillt bei der 64-Jährigen nichts mehr an. Ihr Volk verabreicht ihr täglich kleine Drohstiche, bei denen die Bienen ihren Stachel nicht im Fleisch des Opfers verankern. Ein ernsthafter Stich tötet die Biene selbst, der will besser überlegt sein. Stankovič erwartet sich von ihren Bienen eher Heilung als Schmerz, sie sagt: "Ich brauche kein Yoga. Ich habe Bienen."

Tjaša Stankovič inhaliert die eigentümlich süß riechende Luft eines Bienenstocks.
Tjaša Stankovič inhaliert die eigentümlich süß riechende Luft eines Bienenstocks.
Stefan Schauhuber

Bienen als Arztersatz sind slowenisches Kulturgut, in Imkerfamilien vertraut man seit Generationen auf sie. Bienenluft für Lungenleiden, Bienenhonig für offene Wunden, Bienenlärm für die Psyche und sonstige Bienenprodukte wie Propolis und Gelée royale für eh alles: Das Heilen durch Bienen nennt sich Apitherapie, mit wasserdichter Wissenschaft untermauert ist sie kaum. Anekdotische Heilungsgeschichten hört man dafür umso mehr.

Die guten Aerosole

Auch Aleš Jenko und Teja Milharčič hat die Gesundheit zur Imkerei gebracht. Als Milharčič erkrankte, baute ihr Partner im Garten ein Bienenhaus. Noch während des Baus schlief Milharčič immer wieder bei den Bienen, Jenko machte derweil per Zoom seinen Imkerkurs. Seiner Gattin geht es längst besser, nun dürfen Touristen das Bienenhaus am Rande von Klenik im Südwesten des Landes mieten. Hier ist die eingangs erwähnte Liege, auf der man den Bienen lauschen kann; zum Schlafen gibt es optional freilich auch ein normales Bett. Aus einer Sitznische des Häuschens kann man die draußen aus- und einfliegenden Bienen beobachten und dabei per Atemmaske die Wabenluft inhalieren.

Wer genau hinschaut, findet Kratzer an den Bienenstöcken. "Das war der Bär. Deswegen haben wir jetzt einen elektrischen Zaun", sagt Jenko. Dass Meister Petz nur den Honig naschen wolle, sei ein Irrglaube. Ihm gehe es auch um die proteinreichen Maden. Bärenbesuche sind selten, die echten Probleme der Bienen sind andere. Klar: der Klimawandel. "Früher war in vier Jahren eine schlechte Saison, jetzt ist es umgekehrt", sagt Tjaša Stankovič. Aleš Jenko klagt, dass extreme Regenfälle wie im Sommer auch den Bienen schaden: "Der Regen wäscht den Nektar aus den Blumen."

Die Milbe

Die größte Gefahr für die Bienen misst etwas mehr als einen Millimeter und heißt Varroamilbe. Der Parasit hat sich überall außer in Australien und der Antarktis festgesetzt. Die Details sind einigermaßen widerlich, also die Kurzfassung: Wird die Milbe nicht mit diversen Säuren bekämpft, kollabiert das Bienenvolk in wenigen Jahren. Einen großen Bienenfeind hat Slowenien schon eliminiert. Es war das bienenliebende Volk, das in der EU ein Verbot der bienenmordenden Insektizidgruppe der Neonicotinoide durchsetzte. Dass die Uno 2018 den 20. Mai zum Welttag der Bienen ausrief, lag, eh klar, an Slowenien. Der Tag ist der Geburtstag von Anton Janša, dem Gottvater der slowenischen Imkerei. Maria Theresia berief ihn 1770 zum Chef der ersten Bienenschule im Wiener Augarten.

"Bienen werden nicht als Nutztiere gesehen, sondern als mehr. Das zeigt sich auch in der Sprache", sagt Valentina Cvjetkovič, als Leiterin der slowenischen Imkereiakademie Janšas spirituelle Nachfolgerin. Wünscht man sich in Slowenien viel Glück, sagt man: "Möge deine Axt in Honig fallen." Wer reich ist, hat einen vollen Topf Honig. Slowenen imkern freilich nicht, um reich zu werden. Nur die größten Bienenzüchter verkaufen ihren Honig im Supermarkt. Die anderen haben Stammkunden, die meisten ihrer Produkte dürfen sie ohne Rechnung verkaufen. Und da in Slowenien jeder jemanden kennt, der jemanden kennt, der Imker ist, wird fleißig eingekauft.

Teja Milharčič hat die Fronten ihrer Bienenstöcke selbst bemalt.
Teja Milharčič hat die Fronten ihrer Bienenstöcke selbst bemalt.
Stefan Schauhuber

Sloweniens Imkerei gilt als Vorbild, Stankovič hat Besucher von Frankreich bis zur Mongolei. Sie begutachten auch den sogenannten AŽ -Hive, eine nur in Slowenien übliche Bauart des Bienenstocks. Die Bienen fliegen vorn ein, der Imker arbeitet von der Hinterseite, anstatt die Waben stets nach oben aus dem Stock heben zu müssen. Die Fronten werden einfärbig oder mit traditionellen Motiven bemalt. Der AŽ-Stock illustriert die Prinzipien der slowenischen Imkerei: Ja, er ist vielleicht nicht ganz so effizient und mobil. Aber er ist schöner, traditioneller und für die Imker angenehmer. Und, sagt Aleš Jenko: "Wenn der Bär kommt, sind sie hier sicherer."

Balance finden

Wo in anderen Ländern die Landwirtschafts- oder Pestizidlobby das Sagen hat, werden in Slowenien Bienen geschützt. Neonicotinoide waren schon vor dem EU-Beschluss verboten, Wiesen dürfen in großen Teilen des Landes erst im Sommer gemäht werden. "All die Maßnahmen ergeben eine Geschichte: Die Menschen mögen Bienen, sie unterstützen sie", sagt Cvjetkovič.

Vielleicht liebt Slowenien seine Honigbienen sogar zu sehr. Einzelne Imker warnen, dass die Dichte zu hoch wird und die gezüchteten Honigbienen anderen bestäubenden Insekten das Futter streitig machen. Und auch hier ist die Varroamilbe eine Gefahr. Befallene Honigbienen können Wildbienen anstecken, mangels Säurebehandlung kann der Parasit unter den Wildvölkern wüten. "Das Beste, was du für Wildbienen und andere wilde Insekten tun kannst, ist, deine eigenen Bienen gesund zu halten", sagt Cvjetkovič. Sollte die Lage kritisch werden, kann man sich auf Sloweniens Bienenbewusstsein wohl verlassen. Im angrenzenden Wald gibt es nun ein Bienenhotel, erzählt Andreja Stankovič: "Es braucht eine Balance." (RONDO, Martin Schauhuber, 22.10.2023)